Cannes-Sieger: Spielbergs „unpolitische“ Palme

CannesSieger Spielbergs unpolitische Palme
CannesSieger Spielbergs unpolitische Palme(c) Cannes
  • Drucken

Die Goldene Palme ging erstmals an eine lesbische Liebesgeschichte – parallel zu Pariser Protesten gegen die Homo-Ehe. „Keine Politik“, hieß es aus der Jury.

Bei den drei entscheidenden Preisen sei sich die Jury einig gewesen, gab Steven Spielberg, heuer Jurypräsident von Cannes, bei der Pressekonferenz nach der Preisverleihung zu Protokoll. Die neunköpfige Truppe, zu der auch der österreichische Schauspieler Christoph Waltz und Hollywood-Darstellerin Nicole Kidman gehörten, hatte mit ihrem Hauptpreis eine Novität in der Geschichte des Festivals gesetzt: Für den dreistündigen lesbischen Kinoentwicklungsroman „La vie d'Adèle chaiptre 1 + 2“ („Blue is the Warmest Color“) erhielt nicht nur der französische Regisseur Adbellatif Kechiche die Goldene Palme, sie wurde ausdrücklich auch seinen Hauptdarstellerinnen zugesprochen – Léa Seydoux und der als Entdeckung gefeierten Adèle Exarchopoulus.

Exarchopolous spielt die 15-jährige Adèle aus kleinbürgerlichem Haus, mit einer etwas älteren Künstlerin erlebt sie erste große Liebe (deren Haare sind blau gefärbt, daher der englische Filmtitel gemäß der Comic-Vorlage, einer beim Erscheinen 2010 hochgelobten französischen Graphic Novel: „Le Bleu est une couleur chaude“ von Julie Maroh). Ausgiebige, freizügige Sexzsenen zwischen den zwei Darstellerinnen wurden wie meist in solchen Fällen mit dem Adjektiv „mutig“ gelobt. Doch wie vieles an Kechiches im Kern und den Milieuhintergründen etwas schematischer Erzählung vom Erblühen und Vergehen einer Liebe wirken sie aber auch angestrengt und ausgedehnt.

Die Jury sah das etwas anders: „Der Film ist für mich eine große Liebesgeschichte“, sagte Spielberg in der Pressekonferenz, darum „war es für uns alle ein Privileg und keine Peinlichkeit, wie eine Fliege an der Wand eingeladen zu werden, von Anfang an zuzusehen, wie sich diese Geschichte von großer Liebe und großem Herzeleid entwickelt. Der Regisseur hat die Erzählung nicht eingeschränkt, sondern wie im wirklichen Leben ausspielen lassen. Wir waren gebannt.“

Jury: Bekenntnis zum Allgemeingültigen

Dass die Goldene Palme von Cannes heuer erstmals an eine homosexuelle Liebesgeschichte ging, während es in Paris auf den Straßen Massenproteste gegen die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe gab, legte natürlich die Frage nach einem politischen Preis nahe. „Wie Sie wissen, heiraten die Figuren im Film nicht“, wiegelte Spielberg ab: Politik habe bei den Juryberatungen keine Rolle gespielt, die Gefühle im Film seien allgemeingültig. Ebenfalls einstimmig gab man den als „zweiten Platz“ geltenden Großen Preis der Jury an die US-Brüder Joel und Ethan Coen für „Inside Llewyn Davis“, eine mit eher abschätziger Ironie servierte Studie eines erfolglosen Folkmusikers im New York der 60er. Und den Jurypreis erhielt noch eine „universale Geschichte“ mit dem Drama „Like Father, Like Son“ vom Japaner Kore-eda, der zurückhaltend von zwei Familien erzählt, die erfahren, dass ihre sechsjährigen Kinder als Babys vertauscht wurden.

Die Schauspielpreise gingen an die Französin Bérénice Bejo („The Artist“) für das Scheidungsdrama „The Past“ vom Iraner Asghar Farhadi und an den Hollywoods Charakterdarstellerveteran Bruce Dern für Alexander Paynes Road Movie „Nebraska“. Bei den zwei verbleibenden Auszeichnungen waren die klar politischen Themen  der Jury auch keine Erwähnung wert: Der Regiepreis ging nach Mexiko für „Heli“ von Amat Escalante, eine einsichtsarme, aber auffällig inszenierte Drogenkrieg-Saga. Den Drehbuchpreis erhielt der Chinese Jia Zhangke, der in „A Touch of Sin“ vier Episoden zum tödlichen Panorama einer vom Turbokapitalismus überrollten Gesellschaft verschränkte: „Visionär“, attestierte Spielberg, aber nicht wegen der Sozialkritik – „die Struktur des Buchs hat uns alle beeindruckt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Cannes Goldene Palme bleibt
Film

Cannes: Goldene Palme bleibt in Frankreich

Abdellatif Kechiches lesbischer Kino-Entwicklungsroman „Blue is the Warmest Colour" gewann gegen starke Konkurrenz - allerdings ohne Meisterwerke.
Adele Exarchopoulos und Lea Seydoux, Darstellerinnen im Siegerfilm.  arrive for the screening of the film 'La Vie D'Adele' in competition during the 66th Cannes Film Festival
Film

"Goldene Palme" von Cannes für "La vie d'Adèle"

Der Film erzählt mit großer Sensibilität von der Liebe zweier Frauen, dargestellt von Adele Exarchopoulos und Lea Seydoux.
Filmfestival Cannes Spekulieren Spielberg
Film

Filmfestival Cannes: Spekulieren mit Spielberg

Die Konkurrenz in Cannes war stark, aber ohne Favoriten. Daneben gab es einen verdienten Preis für Rithy Panh und ein Comeback für Alejandro Jodorowsky.
FRANCE CANNES FILM FESTIVAL 2013
Film

Schund und Sünde in Cannes

Das Filmfestival an der Croisette hatte heuer einen seiner besten Jahrgänge. Leider nicht im Wettbewerb. Dort verblüffte nur Jia Zhangke mit „A Touch Of Sin“.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.