Film-Festival: Queer durch alle Genres

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Thematisch breit aufgestellt und mit einem großen Staraufgebot fristet das Queer-Film-Festival "Identities" nach zwanzig Jahren keineswegs ein Nischendasein.

Let my people go. Schwule Liebeskomödie.
Let my people go. Schwule Liebeskomödie.(c) Beigestellt
Cloudburst. Alte Damen nehmen Reißaus.
Cloudburst. Alte Damen nehmen Reißaus.(c) Beigstellt
Alata. Liebe zwischen Israeli und Palästinenser.
Alata. Liebe zwischen Israeli und Palästinenser.(c) Beigestellt

Wie alt ist ein Festival, das seit 20 Jahren jedes zweite Jahr stattfindet? Zehn oder 20 Jahre? Was heißt eigentlich "queer"? Und warum will sich die Gründerin und Intendantin von "Identities", Barbara Reumüller, keinesfalls ablichten lassen? Lauter verquere Fragen. Zumindest letztere ist leicht zu beantworten. "Das Programm soll im Vordergrund stehen - und nicht ich", sagt Reumüller, gebürtige Innsbruckerin, die Englisch und Italienisch studierte und nach einem Ferialjob in Wien hängen blieb. Unterrichten lockte sie nicht, auch Filmregisseurin wollte sie nicht werden. Sie machte ihr Hobby zum Beruf und gründete das Queer-Festival, das sich "keineswegs", wie sie betont, an Randgruppen, Homosexuelle, Lesben richtet, sondern "an alle!". Darum heiße es auch "Identities".

Heuer gibt es zum Jubiläum besonders viele Filme mit Filmstars: Eröffnet wird mit "Albert Nobbs" von Rodrigo García (2011) mit Glenn Close in einer Männerrolle: Der Titelheld ist eine Heldin, das darf aber keiner wissen, denn sie verdingt sich als Butler in einem der besten Hotels von Dublin im 19. Jahrhundert. Albert verehrt das junge Dienstmädchen Helen, die ihn aber nur ausnützt und ein Verhältnis mit einem anderen hat. Mit Meryl Streep sind gleich drei Filme zu sehen: "Doubt" über Missbrauchsverdacht im kirchlichen Milieu (mit Philip Seymour Hoffman, 2008), "The Hours" (mit Nicole Kidman als Virginia Woolf, 2002) sowie das Atomdrama "Silkwood" (mit Cher, 1983). Ferner wird Clint Eastwoods schonungsloses Biopic über J. Edgar Hoover mit Leonardo DiCaprio (2011) präsentiert.

Cineastische Weltreise. Hoover führte 48 Jahre lang das FBI, seine Homosexualität versuchte er zu unterdrücken, in der Rolle seiner dominanten homophoben Mutter: Judy Dench. "Les Adieux à la Reine" von Benoît Jacquot (2011) mit Diane Kruger als Marie-Antoinette und Léa Seydoux als ihre Vorleserin schildert die Französische Revolution aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel.

"Dicke Mädchen" von Axel Ranisch, einem Schüler Rosa von Praunheims, kommt aus Deutschland: Die Filmförderung blieb aus, Gagen gab es keine. Dafür machte Ranischs Großmutter Ruth Bickelhaupt Furore in dieser Geschichte eines Bankkaufmanns, der sich in den Pfleger seiner dementen Mutter verliebt - dieser ist allerdings Familienvater. "Les Lapines: Hockey" ist eine queere Animationsserie aus Kanada für Kinder. "Wir wollen die Besucher auf eine cineastische Weltreise mitnehmen - bei der sie Wien nicht verlassen müssen", sagt Reumüller.
Es gibt Spielfilme, Dokumentationen, Kurzfilme aus allen Teilen der Welt, darunter etwa "Mosquita y Mari" über zwei mexikanische Einwanderermädchen, die sich in Los Angeles einander annähern, oder "Yossi" vom Israeli Eytan Fox: Ein Arzt wagt zehn Jahre nach dem Tod seines Geliebten im Krieg einen Neuanfang.

Die Oscar-Preisträgerinnen Olympia Dukakis und Brenda Fricker spielen in "Cloudburst" (2011) ein Paar, das aus dem Pflegeheim ausbricht. In "Detlef - 60 Jahre schwul" geht es um die Aufbruchsstimmung der Siebzigerjahre und um Detlef Stoffel aus Bielefeld, der gegen den bis 1994 geltenden "Schwulenparagrafen", der sexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte, mobilisierte. Das Festival bietet auch Events wie eine Opening Night Party bei freiem Eintritt, einen Abend mit DJ Pia Reiser und französischen Chansons und einen Good-bye-Event mit Überrachungs-DJ. 15.000 Besucher verzeichnete "Identities" zuletzt, die Auslastung liegt bei 80 Prozent. Queer-Film-Festivals gibt es in vielen Städten, das größte in San Francisco (Frameline, 20. bis 30. 6.), und alle miteinander haben sie eine gemeinsame Hompage, queerfilmfestivals.org.

Neue Geschichten.
Die Bandbreite der Filme hat sich stark erweitert. Statt tränenreicher Coming-out-Geschichten sind inzwischen alle Genres - großes Hollywood-Kino, Thriller, Biopic, Comedy - vertreten und alle Themen: Migration, Globalisierung, Ökonomie, individuelle Lebensentwürfe, Glaube, Staatsgefüge. Die Akzeptanz queerer Themen sei im konservativen Wien freilich noch immer deutlich geringer als in New York, Paris, Amsterdam, Barcelona, Berlin oder Hamburg, erklärt Reumüller.  Auch in Hollywood ändere sich das Klima nur langsam, "aber sicher", ist sie überzeugt. Wenn man länger zurückblickt, wird klar, wie viel sich im Wechsel der Generationen zum Positiven gewandelt habe.

Das gelte auch für die ursprünglich negative Bedeutung des Wortes "queer". Reumüller erinnert sich an ein Gespräch mit dem Kulturbeauftragten des British Council, der auf die Idee in Wien ein "Queer Festival" zu veranstalten - ausgehend vom "New Queer Cinema", das sich ab 1991 in Amerika entfaltete - skeptisch reagierte: "Glauben Sie wirklich, dass es eine gute Idee ist, ein Festival queer zu nennen?", meinte der ältere Herr: "Wissen Sie überhaupt, was das heißt?"

Tatsächlich gibt es bis heute für "queer" kein gut und knapp passendes deutsches Wort, meint Reumüller: "Es steht für das, was Geschlechtervielfalt wirklich sein kann. Es bedeutet, die heteronormative Einteilung in Binäre, Mann und Frau, komplett infrage zu stellen und zu sagen, wir sind verschieden. Queer war nie eine Randgruppe, und das Wort ist hochpolitisch!" Darum ist es Reumüller auch nicht recht, dass "sich queer so als Partyterminus und als schickeres Wort für lesbisch oder schwul eingeführt hat. Queer ist hip, aber man darf nicht vergessen: Es ist ein weitreichender Begriff. Es heißt, antinormativ zu sein."

TIPP

Festival "Identities" im Gartenbaukino (Opening Night), Top-Kino, Filmcasino, 6. bis 16. Juni, 90 Filme, www.identities.at

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