Ein Erotikthriller, der sich selbst demontiert

Erotikthriller sich selbst demontiert
Erotikthriller sich selbst demontiert
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Mit einem Blick auf Kinoruinen beginnt Paul Schraders "The Canyons": eine Hollywood-Demontage, mit einem Pornodarsteller und dem gefallenen Kinderstar Lindsay Lohan in den Hauptrollen.

Um keinen Venedig-Film hat es bereits im Vorfeld so viele Spekulationen gegeben wie um Lindsay Lohans Comeback-Versuch mit dem Erotikthriller „The Canyons“, geschrieben vom Popliteraten Bret Easton Ellis und inszeniert von Paul Schrader, der auch knapp 40 Jahre später immer noch als Drehbuchautor von „Taxi Driver“ vorgestellt wird. Ein von Schrader gegen den Willen von Lohan am Set zugelassener Reporter hatte die Erwartungen noch weiter angeheizt, als er im Januar einen ausführlichen Bericht über die schwierige Entstehung des Films in der „New York Times“ veröffentlichte. Und doch ist nichts an dieser Premiere in Venedig selbstverständlich.

Zuvor hatten alle großen Festivals von Sundance bis Cannes abgelehnt, den Film in ihren Hauptreihen zu zeigen. Tatsächlich bedarf es einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein, ein Werk wie dieses ins offizielle Programm eines Festivals zu heben, das nach wie vor für den Glauben an eine altehrwürdige Kinotradition steht. Schrader pfeift auf die Regeln von Glaubwürdigkeit, schlüssiger Dramaturgie, authentischem Schauspiel und sich selbst rechtfertigender Professionalität. Der Film beginnt mit statischen Einstellungen von Kinoruinen. Auf den imposanten Anschlagtafeln stehen keine Titel mehr. Diese paar Bilder, stilistisch vom restlichen Werk enthoben, prägen die Wahrnehmung: Das Kino als Angelpunkt der Filmrezeption ist passé, Hollywood frisst seine eigenen Kinder.

Auf zerfallende Sessel eines ehemaligen Lichtspielhauses zu blicken hat einen besonderen Reiz in Venedig, wo das Festival selbst seit Jahren mit Baugruben und unerfüllten Plänen für die eigene Zukunft hadert. Und dennoch Jahr um Jahr wieder den Beweis antritt, dass der Autorenfilm noch etwas Substanzielles beizutragen hat. Zum Jubiläum stellt das Festival den Vorführungen unter dem Motto „Future Reloaded“ kleine Clips mit Wochenschau-Ausschnitten aus der 1932 beginnenden Geschichte von 70 Ausgaben voran. Mit feiner Selbstironie werden unkommentiert die Bilder und Töne von damals verwendet, die selbst von der faschistischen Vereinnahmung der Festspiele noch im feierlichsten Gestus künden. Da kann das Festival es offensichtlich auch ertragen, wenn ein Regisseur voller Ernst das genügsame, inzestuöse Filmbusiness mit einer Satire vorführt, die nie bissig ist, sondern sich zunehmend zur Farce entwickelt.

Mit dem gefallenen Kinderstar Lohan, dem Pornodarsteller James Deen [sic!] und dem Regisseur Paul Schrader, der im Hollywood-System versagt hat, bietet „The Canyons“ alles für eine Comeback-Story. Doch Schrader hatte etwas Gewagteres vor: In bester B-Movie-Tradition demontiert sich sein Erotikthriller andauernd selbst. Angeblich gegen die Absichten von Ellis, der so wie Schrader auch finanziell am Low-Budget-Projekt mit eigenen Mitteln beteiligt war.

Durch die Tage mit Shopping und Sex

Ellis hatte sich einen spielerischen Thriller vorgestellt, angelehnt an das Genre des Film noir. Doch Schrader hat „The Canyons“ maximal entschleunigt und ihm alles Düstere ausgetrieben. Das Spielerische liegt nun vor allem darin, dass alle Erwartungen unterlaufen werden und selbst die sich mächtig ins Zeug legende Musik keine Spannung aufkommen lässt. Lohan füllt mit ihrem aufgedunsenen, offenbar vom Drogenmissbrauch gezeichneten Gesicht die Rolle der Tara perfekt aus: eine gelangweilte Frau am Tropf eines reichen Mannes, die sich durch die Tage und Beziehungen schleppt mit Shopping und Sex. Sie wird nicht müde zu betonen, dass sie allein aus Langeweile bei der Filmproduktion ihres Freundes mitarbeitet. Und bald verliert sie auch daran wieder die Lust: „Do you really like movies? Maybe they're just not my thing anymore.“ Neben dem Blick hinter die Kulissen der einstigen Traumfabrik erzählt „The Canyons“ vor allem eine Eifersuchtsgeschichte, die zu dramatischen Verwicklungen führt, für die sich aber keiner so recht interessiert. James Deen, der den narzisstischen Christian spielt, wirkt stets abwesend, als dürfe ihn das Schicksal der Figur nicht mehr angehen als die etwa 4000 Pornorollen, in die er bereits schlüpfte. In seiner affektiven Distanz und gleichzeitigen Nähe zum Camp verbindet den Film viel mit Brian de Palmas oftmals unterschätzten Werken. Nur dessen Finesse geht Schrader ab.

Auch bei Wohlgesinnten wird „The Canyons“ keine Begeisterungsstürme auslösen, weil er auf zu vielen Ebenen gleichzeitig das Scheitern zelebriert. Im Vergleich etwa zu Harmony Korines „Spring Breakers“, der als ein ähnliches trojanisches Pferd angelegt war und im vergangenen Wettbewerb von Venedig startete, wird Schraders Film es gerade bei einem jüngeren Publikum, das die Tradition von Exploitation und B-Movies nicht miterlebt hat, schwer haben. Das ist schon deshalb schade, weil das Blockbuster-fixierte Hollywood dringender denn je diese alternative, dreckige Seite des Kinos brauchte, um die Leidenschaft fürs Neue anzufachen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2013)

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