"Brother Grimm": In der Märchen-Ruine

FILM-KRITIK. "Brothers Grimm" von Terry Gilliam.

Um gleich mal vorauszuschicken und damit aus dem Weg zu schaf fen, was die Spatzen ohnehin schon von den Dächern pfeifen: Brothers Grimm von Terry Gilliam ist ein missglückter Film. Missglückt aber immerhin auf eine interessante Weise.

Denn zwischen den Szenen - in einzelnen Bildern, Ideen, Entwürfen - blitzt, wie ein geisterhafter Schemen, immer wieder ein anderer Film auf: jener Film, den Gilliam wohl eigentlich hatte machen wollen, bevor er mit den Produzenten-Gebrüdern Bob und Harvey Weinstein auf ihm an Dickköpfigkeit überlegene Gegner traf. Die Weinsteins feuerten Gilliams Kameramann Nicola Pecorini wegen Langsamkeit und ersetzten ihn durch Newton Thomas Sigel. Die Weinsteins sorgten offenbar auch dafür, dass Gilliam nicht allzu sehr vom konventionellen Drehbuch abwich; dass er, sozusagen, auf dem (Märchen-)Waldweg blieb und sich nicht ins sehr viel verführerische Unterholz schlug, um nachzuschauen, was sich wohl hinter den Bäumen, in den Büschen und unter den Steinen verbirgt.

So ist, was jetzt ins Kino kommt, eine Art Doppelbelichtung: Die Ruine eines wild assoziativen, visuell überbordenden Terry Gilliam-Films, der dem Wesen des Märchens ebenso nachspürt wie dem der Märchenwesen, überlagert vom dramaturgischen Skelett eines Fantasy-Films nach Mainstream-Schema-F, das jeder durchschnittlich begabte Hollywood-Routinier hätte inszenieren können. Traurig, das Ganze.

Aber dann auch wieder nicht, denn mit geradezu subversiver Perfidie macht Gilliam den Zwang, der ihm angetan wurde, sichtbar; die Vergewaltigung seiner künstlerischen Vision kommt immer dann geradezu markerschütternd zum Ausdruck, wenn Gilliam seinen Film in voller Fahrt ausbremst, krachend den Gang wechselt, es mit quietschenden Reifen gerade eben noch so um die Klischee-Kurve schafft, um sodann mit größter Unlust eine Szene herunterzukurbeln, die Regeln gehorcht, die verdrießlich und vor allem nicht die seinen sind. Danach macht er sich wieder davon, ab ins Unterholz des Märchenwaldes, wo Äste und Wurzeln ihr Eigenleben führen, und spürt dort einem verwunschenen Jäger nach, nimmt das modische Empfinden der Gebrüder unter die Lupe, stellt die sozialen Mechanismen eines dörflichen Gemeinwesens aus oder den Sadismus französischer Besatzer.

Es ist wohl unnötig zu sagen, dass Brothers Grimm - mit Matt Damon und Heath Ledger in den Hauptrollen und einem Budget von 80 Mill. Dollar - mit dem Leben der tatsächlichen Gebrüder Grimm in etwa soviel zu tun hat wie Baron Münchhausens Ritt auf der Kanonenkugel mit der Wahrheit.

Terry Gilliam, Jg. 1940, vor allem als kompromissloser und dynamischer Gestalter bekannt, ebenfalls für die Monty-Python-Filme, die er drehte, hat für die beiden deutschen Gelehrten - denen außer ihrer bedeutenden Märchensammlung auch das fundamentale Wörterbuch der deutschen Sprache zu verdanken ist - eine sagenhafte Geschichte erfunden, in der sie die Abenteuer, die sie in ihren Erzählungen tradieren, endlich einmal selbst erleben. Als Scharlatane zwar, aber mit der gleichen kindlichen Begeisterung, die ihre Märchen seit langem, nach wie vor und hoffentlich auch weiterhin, auszulösen vermögen.

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