"Shirley": In Edward Hoppers schräger Welt

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Viennale. Gustav Deutschs außergewöhnlicher Kunstfilm„Shirley: Visions of Reality“ erweckt 13 Hopper-Tableaus zum Leben – ein visueller Coup, der den Surrealismus des Malers beweist.

Ein Schlüssel zur Intensität und Popularität des US-Malers Edward Hopper ist die erzählerische Suggestionskraft: Seine Gemälde laden buchstäblich zur Projektion ein, verstärkt durch einsame Stimmungen und Hoppers Kunst, trotz detailgenauer Komposition die Geheimnisse nur anzudeuten: Was hat die Nachtschwärmer in seinem berühmtesten Gemälde „Nighthawks“ in diese Bar geführt, welche Sehnsüchte spiegeln die Betrachter in Hoppers ausdruckslose Gesichter und detailliert komponierte Americana-Ausblicke?

Der renommierte heimische Regisseur Gustav Deutsch hat für den außergewöhnlichen Kunstfilm „Shirley: Visions of Reality“ nun 13 von Hoppers Bildern zum Leben erweckt: Szenerien von „Hotel Room“ (1931) bis „Chair Car“ (1965) wurden aufwendig im Studio nachgebaut, als Hoppers wiederkehrende, rätselhafte Einsame posiert darin mit formvollendeter Geschmeidigkeit die Performance-Künstlerin und Tänzerin Stephanie Cumming. Die Lebensgeschichte ihrer Shirley ist in einer Kreisbewegung aufgelöst. Das Zugabteil steht nicht nur am Ende, sondern auch am Anfang des Films, die Tableaus dazwischen spielen jeweils im Entstehungsjahr der Originalgemälde, immer am 28. oder 29. August des Jahres: ein Leben im Loop.

Der Film präsentiert zugleich Zeitsprünge in Stillleben: Shirley durchlebt dreieinhalb Dekaden wechselhafte Verhältnisse, privat und vor allem politisch, ihre fiktive Biografie in Wechselwirkung mit der Historie. So führt ihr Engagement in der linken Theaterszene etwa zum berühmten Regisseur Elia Kazan, der in der McCarthy-Ära zum Informanten wird. Beflügelt von Martin Luther Kings „I Have a Dream“ bricht sie in den Sixties zur weiteren Arbeit mit dem Living Theatre auf. Radiomeldungen vor jeder Szene ziehen zusätzliche historische Spuren von der Depressionszeit bis zur Bürgerrechtsbewegung – diese Collage-Methode ist von John Dos Passos großer USA-Romantrilogie inspiriert.

Kinogemälde: „New York Movie“

Auch Deutsch setzt auf kühnen Modernismus – und gewählte Künstlichkeit: Die Erzählung entfaltet sich fast nur über Shirleys innere Monologe, gelegentlich bloß gibt es Austausch – die Isolation, die Hoppers Figuren umgibt, schlägt sich direkt in der Form nieder. Zuletzt haben sich Peter Greenaway in Rembrandt-Filmen und Lech Majewski in seinem digitalen Bruegel-Panorama „Die Mühle und das Kreuz“ am artifiziellen Beleben von Bildern Alter Meister versucht, bei Deutsch entsteht wie von selbst eine Lichtbildreflexion: Hopper wirkt nicht nur filmisch, zu seinen schönsten Werken zählen Kinogemälde wie „New York Movie“ (1939). Bei Deutsch sinniert Shirley als blonde Platzanweiserin rechts beim Saaleingang (etwa, dass sie „die Rolle spielt“), während die Besucher links auf die Leinwand starren. Da läuft William Wylers Bogart-Krimi „Dead End“, ein Beispiel für die Raffinesse von Deutschs Konstruktionen: Hopper hat diesen Film gesehen, dessen Vorlage war ein Stück des linken Group Theatre, seine Stadtbilder entstanden im riesigen Studiodekor.

Die traumgleiche Kühle von „Shirley: Visions of Reality“ lädt jenseits aller Referenzen zum Abschweifen in der Hopper-Magie ein: Die visuelle Umsetzung – Kamera: Jerzy Palacz, Hintergrundmalerei: Hanna Schimek – ist ein außergewöhnlicher Coup. Das Surrealistische an Hoppers nur oberflächlich realistischer Kunst wird drastisch klargemacht: unglaubliche Farben, irre Schrägen, falsche Perspektiven und verzerrte Möbel. Direkt vor Augen geführt wird das in einer Ausstellung parallel zum Filmstart, die drei Hopper-Sets, weitere Film-Artefakte und Bilderserien bietet, die Fragestellungen um Deutschs Hopper-Spiegelbilder erweitern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2013)

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