Martin Scorsese und das unsichtbare Kino

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Martin Scorseses Projekt zur Restaurierung vernachlässigter Meisterwerke wird bis 8. Jänner im Filmmuseum vorgestellt. Dabei stellt sich auch die Frage: Was überlebt vom Kino in der Ära der digitalen Bilderfluten?

Film oder File? Im Alltag ist die Frage hinfällig. Von Computer bis Mobiltelefon regiert der digitale Bilderfluss, bei den bisherigen analogen Domänen gab es einen raschen Wechsel. Die Digitalisierung von Fernsehen – Tendenz: HDTV – hat sich ebenso durchgesetzt wie diejenige der Kinos. Im regulären Betrieb läuft statt der 35-mm-Filmkopie das sogenannte Digital Cinema Package (DCP), eine Festplatte mit den digitalen Filmdaten, und nicht dem oft beschworenen „digitalen Film“: Das ist ein Oxymoron, denn fotochemischer Film ist per se analog.

Den Normalverbraucher braucht das zunächst nicht zu kümmern. Ist das hochstabile digitale Kinobild nicht der Stand der Technik? Es wird fast nur noch mit Digitalkameras gedreht, und selbst wenn ein Materialfetischist wie Steven Spielberg noch mit Film arbeitet, erfolgen Schnitt und Postproduktion digital. Ist analoges Kino Vergangenheit?

Das verkünden die Jubelmeldungen des Marktes, der Fortschritt mit immer besseren digitalen Visionen verspricht – und dabei stillschweigend manchmal Revisionen vornimmt, indem alte Filme gemäß den Ansprüchen der HDTV-Ästhetik glatt gebügelt werden. Tatsächlich war jedenfalls noch nie so viel Film so leicht zugänglich. Allerdings eben: nur als File. Doch bloß weil eine digitale Kopie existiert, ist der Film nicht gerettet: Wie lange immaterielle Daten halten, ist ungewiss, noch mehr, wie lange sie lesbar sind. Im schnellen Systemwechsel müsste man sie alle paar Jahre überspielen, bevor das alte Verfahren obsolet ist – das DCP von heute ist der Schrotthaufen von morgen.

Selbst „Citizen Kane“ wurde beschädigt

Mit explodierenden Datenmengen ist die digitale Dauermigration gar nicht zu leisten. Hollywood zieht von neuen Digitalprodukten weiter analoge Sicherungskopien, die bei sachgemäßer Lagerung über 100 Jahre haltbar sind. Das ist nur die Spitze des Eisbergs, und wie die Filmgeschichte lehrt, keine vertrauenswürdige. Kinoliebhaber fürchten eine neue Stummfilmzeit, von der bestenfalls ein Fünftel der Produktion überlebt. Nicht nur alte und obskure, sondern auch jüngere Werke würden verschwinden. Gewiss: Erhaltung von Filmen war damals kein Thema, sie waren Einwegware und lukrative Wiederverwertung (von TV bis Blu-Ray) war fern. Aber bis heute wurde viel weggeworfen oder gar vernichtet, darunter vermutliche Meisterwerke.

In einem schönen Text zum Thema für die „New York Review of Books“ hat der US-Regisseur und passionierte Restaurierungsvorkämpfer Martin Scorsese erinnert, dass selbst Alfred Hitchcocks „Vertigo“ und Orson Welles' „Citizen Kane“ nicht unbeschadet überlebten – und die wählt man regelmäßig zum „besten Film“. Was geschieht erst mit weniger populären Meisterwerken? So hat Scorsese 2007 das World Cinema Project gegründet, das vor allem Filme aus Ländern restauriert, in denen Ressourcen fehlen.

Das Filmmuseum stellt ab heute bisherige Restaurierungen vor, die für sich sprechen: Geniestreiche etwa aus Brasilien (die bildmächtige Stummfilm-Singularität „Limite“ von 1931), Südkorea (das perverse Drama „Hanyo – Das Hausmädchen“ von 1961, dessen Titelfigur jede Femme fatale des Film noir in den Schatten stellt) oder Ägypten (der historische Grabräuber-Fiebertraum „Al-momia“ von 1969). Erstmals zeigt das Filmmuseum auch ein paar auf 35 mm gedrehte Filme – wie „Limite“ – als DCP, weil keine Restaurierungen auf Film vorliegen.

Denn anders als viele, auch international renommierte Kinematheken macht das Österreichische Filmmuseum seinem Namen und Auftrag noch Ehre – sonst wird exklusiv originaler Analogfilm „ausgestellt“. Das wird immer schwieriger, sagt Regina Schlagnitweit, die für die Kopienbeschaffung zuständig ist: Oft würde nur DCP (oder gar DVD!) angeboten. Für die Jerry-Lewis-Retrospektive eben griff sie auf Sammlerkopien zurück.

Digitalisierung wird endlich breiter debattiert, aber vieles bleibt unklar: von der Filmkonservierung bis zur unterschiedlichen neurophysiologischen Wirkung des digitalen Bildstroms. Auch die andere Qualität analoger Filmprojektion sollte nicht – wie beim Übergang von LP zu CD – als Liebhaberdebatte abgetan werden. In Kunstmuseen wäre es undenkbar, dass bloß (egal, wie aufwendig gemachte) Reproduktionen ausgestellt werden: Sieht man die digitale Bilderexplosion als Sieg des Kinos, so droht sein wahres Wesen nun darin unsichtbar zu werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2013)

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