"Das Vergangene": Schon wieder Trennung in Paris

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Nach dem Oscar-Erfolg "Nader und Simin" erzählt der Iraner Asghar Farhadi ein ähnliches Beziehungsdrama in Paris: versiert, aber überkonstruiert. Im Kino.

Wieder eine Trennung: Eine Glasscheibe ist zwischen dem Paar, als es sich auf dem Pariser Flughafen wiedersieht. Ehemann Ahmad (Ali Mosaffa) ist nach vier Jahren Abwesenheit aus dem Iran zurückgekehrt, weil seine Frau Marie (Bérénice Bejo aus „The Artist“) endlich die Scheidungsformalitäten abschließen will. Unwillkürlich denkt man bei den Anfangsszenen von „Le passé – das Vergangene“ an den vorigen Film des Iraners Asghar Farhadi, der ihm den Goldenen Bären von Berlin und den Auslands-Oscar eintrug: In „Nader und Simin – eine Trennung“ wollte sich eine Ehefrau in Teheran scheiden lassen, um mit ihrer Tochter in den Westen zu gehen.

Daraus entwickelte sich ein Justizdrama, das Farhadi als brillanten Ensembledrama-Konstrukteur zeigte: Schrittweise offenbarten sich im Verlauf des Prozesses die Geheimnisse und schuldhaften Verstrickungen der Figuren. Aus ganz alltäglich wirkenden Elementen baute sich bemerkenswerte psychologische und dramatische Spannung auf, auf einer weiteren Ebene lud der Film zu Reflexionen über das Verhältnis zwischen dem Privaten und dem Politischen ein. Enthüllungen dienten als Motor der Geschichte, und dass vieles unausgesprochen blieb, lag offensichtlich auch an bestimmten sozialen Zwängen.

Iranisches und Westliches kombiniert

Farhadis weltweiter Erfolg verdankte sich dabei sicher einer Art Brückenschlag, inhaltlich wie stilistisch. Einerseits wurde eine universelle Erzählung über Menschliches mit der spezifisch iranischen Situation verschränkt, andererseits war die realistische Erdung des Stoffs typisch für das iranische Kino, doch in seiner theatralischen, aber keineswegs bühnenhaft aufgelösten Konstruktion zeigte sich ein westliches Element: Als Vorbilder hat der Regisseur nicht zufällig immer wieder Tschechow und Ibsen genannt, sein Drama hatte dadurch eine allgemeinere Zugänglichkeit.

Nun ist Farhadi überhaupt in den Westen gegangen: Zwar ist er im Gegensatz zu Regisseuren wie Jafar Panahi, der von der iranischen Justiz verfolgt und unter Hausarrest gestellt wurde, kein explizit politischer und regimekritischer Filmemacher. Aber die Produktionsbedingungen in Europa seien einfach besser, meinte der Regisseur. Dass er sich dabei angebiedert hätte, kann man auf den ersten Blick nicht behaupten: Die Pariser Wohnräume in denen „Das Vergangene“ spielt, wirken gemäß dem Originaltitel wirklich passé – halb gestrichen, altes Mobiliar, und die Figuren scheinen auch nur wie auf der Durchreise zwischen Koffern und Resten. Selbst zum Essen setzt man sich kaum nieder. Wie schon im ersten Wiedersehensbild auf dem Flughafen, in dem sich das Ehepaar durch die Glasscheibe freundlich austauscht, ohne dass man etwas hören würde, scheint ein wirkliches Zusammenkommen, von Zusammenleben ganz zu schweigen, ferne Utopie. Der soziale Hintergrund spielt im Gegensatz zum Vorgängerfilm eine geringe Rolle: Man kann das Beziehungsdrama in „das Vergangene“ als Allegorie über ein problematisches Verhältnis zwischen Europa und dem (Mittleren) Osten sehen, aber das bleibt so vage wie letztlich auch ein wenig banal.

Zuletzt eher Boulevard als Tschechow

Problematischer ist, dass Farhadi nicht nur einen ähnlichen Aufbau wie in „Nader und Simin“ bemüht, sondern sich dabei letztlich übernimmt. Die Rückkehr des entfremdeten Ehemanns löst alsbald erhebliche Verwicklungen aus: In langen Wortgefechten kommt es zu Ausweichmanövern und schließlichen Geständnissen, von denen etwas zu verraten den Kern von Farhadis Kunst zu verraten hieße. Denn seine Filme leben von der Offenbarung kleinster Details, die ein völlig neues Licht auf das Gesamtbild werfen.

Doch diesmal wächst das Melodrama nicht organisch aus dem Alltäglichen, sondern scheint zusehends gewollt: Die Zwickmühlen, in denen sich die Figuren finden, wachsen zum sorgfältig eskalierenden Kreislauf der Schuld, inklusive Liebesverhältnissen und Selbstmordpatientin im Koma. Spätestens im letzten Drittel des über zwei Stunden langen Films wirkt das nicht mehr wie eine natürliche Entwicklung, sondern wie die Kunstgriffe eines Erzählers, der bei allem Geschick nicht verbergen kann, dass hinter der realistischen Ästhetik letztlich versierte literarische Taschenspielerei lauert. So ist „Das Vergangene“ gut gespielt (Bejo, effektiv, aber auch etwas eindimensional, erhielt den Darstellerinnenpreis in Cannes) und mit einer professionellen Gleichmäßigkeit erzählt. Aber die Geschichte wirkt zuletzt weniger wie Tschechow, eher wie das dramatische Äquivalent von Boulevardtheater.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2014)

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