Filmmuseum: Pionierin weiblichen Widerstands

Kinuyo Tanaka
Kinuyo Tanaka(c) Wikipedia
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Die Japanerin Kinuyo Tanaka war eine der größten Kinoschauspielerinnen. Nun ist sie endlich als bahnbrechende Filmemacherin der Selbstbestimmung zu entdecken.

Im Jahr 1949 unternahm die berühmte japanische Schauspielerin Kinuyo Tanaka eine mehrmonatige US-Tournee und besuchte dabei Kollegen in Hollywood. Bette Davis schenkte sie einen Kimono – und die Hollywood-Diva revanchierte sich angemessen: Da Tanaka als „die Bette Davis von Japan“ annonciert sei, wolle sie sich nun bemühen, die amerikanische Kinuyo Tanaka zu werden. Doch bei allem verdienten Respekt für Bette Davis: Der zweiten, aber kaum bekannten Karriere Tanakas als Regisseurin hat sie nichts entgegenzusetzen. Eine Retrospektive im Filmmuseum erlaubt nun, diesen Schatz der Kinogeschichte zu heben.

Denn Tanaka (1910–1977) ist als Filmemacherin irritierend vernachlässigt, sie firmiert „nur“ als eine der großen Darstellerinnen, gefeiert für viele unvergessliche Auftritte bei den wichtigsten Regisseuren Japans: So spielte sie u.a. 19-mal für Hiroshi Shimizu (mit dem sie 1927 eine frühe, kurze Ehe einging), zehnmal bei Yasujirô Ozu (der sie auch privat – vergeblich – verehrte) und 15-mal für Kenji Mizoguchi. Als seine Muse erklomm Tanaka in Mizoguchi-Meisterwerken wie „Sanshô dayû“ (1954) und als zutiefst tragische Titelfigur von „Das Leben der Frau Oharu“ (1952) den Zenit der Schauspielkunst.

Doch Tanakas Ambitionen gingen weiter: Sie wollte selbst Regie führen, was ihr Partner Mizoguchi rigoros ablehnte. Woraufhin sie sich von ihm trennte und – auch dank Unterstützung Ozus – binnen einer Dekade ein sechs Filme schmales, aber in jeder Hinsicht herausragendes Werk als Regisseurin schuf. In einer Ära, in der Frauen im Regiestuhl weltweit eine Seltenheit waren, war ihre Pionierrolle in der rigiden japanischen Gesellschaft noch außergewöhnlicher. Vor Tanaka gab es im Land nur eine weibliche Filmemacherin: Sakane Tazoku, die man nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in den alten Job als Scriptgirl (übrigens bei Mizoguchi) zwang.

Kühne Themenwahl: „Der ewige Busen“

Tanaka dagegen etablierte sich nicht bloß in Japans Studiosystem. Sie tat es mit kühner Themenwahl: Im grandiosen Drama „Der ewige Busen“ (1955) etwa erzählte sie so nuanciert wie niederschmetternd von einer Lyrikerin, bei der tödlicher Brustkrebs diagnostiziert wird. Als Film über die Schwierigkeiten weiblicher Selbstbestimmung gab es da zweifellos eine autobiografische Dimension. Denn Tanaka hatte zuvor am eigenen Leib erfahren, wie eine repressive Gesellschaft auf progressive Selbstentfaltung reagierte.

Das Dokument dazu ist der auch im Filmmuseum laufende Halbstünder „Die Wanderungen der Tanaka Kinuyo“ (2009). Der amüsante Bericht über ihre US-Tournee zeigt Tanaka vom Besuch bei Bette Davis bis zum Posieren mit (dem eineinhalb Köpfe größeren) John Wayne oder Arbeiterinnen in einer Ananasdosenfabrik als bescheidenen Star: ohne Allüren und guter Dinge über einen Trip, den sie als Chance sah, sich neu zu erfinden. Man sieht auch ihre Rückkehr: Mit kurz geschnittenem Haar landet Tanaka im Jänner 1950 in Tokio, wirft aus einer Limousine ihren Bewunderern Küsse zu – ihr neues, fortschrittliches Image sorgte im Land für Entrüstung und heftige Kritik.

Tanaka spielte mit Selbstmordgedanken, aber durch schiere Willenskraft bewältigte sie in den nächsten Jahren viele ihrer besten Rollen – und den Weg zur Filmemacherin. Werke wie „Die umherziehende Kaiserin“ (1961), in dem in zart schimmernden Farben die Geschichte der Schwägerin des „letzten Kaisers“, Pu Yi, erzählt wird, wären mit ihrer Intelligenz, Subtilität und femininen Perspektive überreif für die (Wieder-)Entdeckung – für Frauenforschung wie Filmgeschichte. Die gleichzeitige Gegenüberstellung von Tanakas Werk mit einer Auswahl von Arbeiten Mizoguchis ist dabei besonders schlagkräftig: Der Regisseur machte seine Darstellerin vor allem als zum Leiden bestimmte Frau zur Ikone – ihr eigenes Werk ist der Widerstand.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2014)

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