Dokumentarfilm: Kampf für die unschuldig Verurteilten

Im Zweifel Schuldig
Im Zweifel Schuldig(c) ThimFilm
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„Im Zweifel schuldig“. „Presse“-Premiere: Axel Breuers Film zeigt eine US-Universitätseinrichtung, die Justizirrtümer untersucht. Ab 4.4. im Kino.

Der englische Titel dieses Films lautet „Heroes for a Semester“: Das trifft den Optimismus, mit dem Axel Breuers Dokumentarfilm eine universitäre Einrichtung schildert, die Justizopfern hilft. Das Center on Wrongful Convictions der Rechtsfakultät an der Northwestern University of Chicago wurde 1998 ins Leben gerufen, um jenen zu helfen, die unschuldig hinter Gittern sitzen.

Insbesondere denjenigen, die weder Mittel noch Möglichkeiten noch Verbindungen zur Selbsthilfe haben: In den USA wird die Anzahl der von Fehlurteilen Betroffenen auf 30.000Häftlinge geschätzt, der (hier wie dort) landläufigen Meinung zum Trotz, dass Justizirrtümer eine Seltenheit seien. Der deutsche Titel des Films klingt doch etwas pessimistischer, zumal er den Umkehrschluss nahelegt: „Im Zweifel schuldig.“

Aber kein Grund zur Entmutigung: In der Manier eines flotten TV-Berichts wird ein Fall aufgerollt, an dem die Helden (und vor allem: Heldinnen) für ein Semester mit der Materie vertraut gemacht werden und ungebrochenen Idealismus auch unter schwierigen legalen Umständen zeigen – und letztlich mitnehmen: Eine Handvoll hauptsächlich enthusiastischer Studentinnen und Studenten hat ihren Praktikumsplatz beim Center on Wrongful Convictions und erhält den Fall von Marcus Wiggins zugeteilt.

Ein Mord in Chicago

Der Afroamerikaner wurde im Alter von 21Jahren als Täter verhaftet, nach einer Schießerei in seiner Neighbourhood in der South Side von Chicago, in deren besserer, zentrumsnaher Gegend u.a. einst Präsident Barack Obama lebte, deren südlichere Viertel aber arme Ghettos sind, die vom Drogenhandel dominiert werden. Seit 15 Jahren sitzt Wiggins für einen Mord im Gefängnis, den er nicht begangen hat, wie er immer wieder sagt. Und tatsächlich führen die Recherchen der Studenten zu Ergebnissen, die seine Beteuerungen untermauern.

Zumal der Film seine Spannung im konventionellen Sinn aus dem Aufspüren von lange vernachlässigten Hinweisen bezieht, will man bei der Beschreibung der Einzelheiten gar nicht zu sehr ins Detail gehen: Breuer folgt seinen jungen Protagonisten durch ihre Sitzungen oder auf der Suche nach Zeugen, lässt sie zwischendurch im Skype-Stil in die Kamera monologisieren oder mit hilfreichen Notizen und Skizzen den Fall wiederholt erläutern. Die Atemlosigkeit der Inszenierung kann man als Äquivalent zum Zeitdruck sehen: Lässt sich im Fall Wiggins etwas erwirken, bevor das Praktikum vorbei ist?

Spannender ist aber die untergründige und unheimliche Angst, an die der Fall rührt: Inwieweit kann man einer Rechtsprechung trauen, bei der offenbar gar nicht so heimliche Manipulation möglich war? Die Ermittlungen kommen nach einiger Zeit weit genug, um (verschwundene Unterlagen, zumindest zweifelhafte Aussagen und) eine Racheaktion der Polizei wahrscheinlich wirken zu lassen: Wiggins hatte bei einer früheren Mordanklage die Chicagoer Cops bloßgestellt, er wurde nach einer Gegenklage freigesprochen, weil man durch Elektroschocks ein Geständnis aus ihm gefoltert hatte.

So rasch die Umstände der Kleinarbeit vorbeiflutschen, die Justizabgründe, die sich auftun, geben Breuers Film bis zum Ende durchaus eine Ambivalenz, was die Arbeit des Center betrifft: Auch wenn entlastendes Material zutage gefördert wird, garantiert das noch keinen Sieg auf dem langen Weg der Justiz. Jedenfalls zeigt sich das Center on Wrongful Convictions als eine Einrichtung, die vorzustellen mehr als lohnt. (hub)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2014)

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