Spike Jonzes virtueller Liebesfilm

"Her"(c) Warner Bros.
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„Her“. In der futuristischen Romanze verliebt sich Joaquin Phoenix in sein Betriebssystem. Weltschmerz 2.0: Was gelten echte Gefühle im Zeitalter der Simulation? Ab Freitag im Kino.

Der Schnauzbart erinnert an Tom Selleck, wenn nicht gar Groucho Marx, aber die dauernd demonstrativ einsackenden Schultern gehören eindeutig Joaquin Phoenix: In „Her“, Spike Jonzes von der Kritik gefeierter und mit dem Drehbuch-Oscar prämierter Pseudofuturismus-Romanze, darf der Überspieler Phoenix als Protagonist Theodore ausnahmsweise im introvertierten Fach loslegen. Sein Dustin-Hoffmann-Syndrom – immer auch zeigen zu müssen, wie stark er spielt – äußert sich sonst aufgedreht, wie als Sektenspinner in „The Master“. Nun darf Phoenix als Einsamer monoton-melancholische Benommenheit ausreizen.

Es lastet schließlich ein aktuelles Dilemma schwer auf seinen Schultern: Wohin mit den weiter als echt empfundenen Gefühlen im Zeitalter der Simulation? Kann es Liebe in einer kapitalistischen Gesellschaft geben, in der alles über seinen Warencharakter definiert wird? Kein Wunder, dass man in der Ära der sogenannten Postironie angekommen ist: Nachdem die Ironie längst zur vorherrschenden Reaktion geworden ist, was bleibt dem Romantiker? Vielleicht deshalb trägt Theodore den komischen Schnauzbart: als ironische Rüstung eines Ritters von der traurigen Gestalt. Entlang dieser Überlegungen baut Jonze seine traurige kleine Lebensgefühlballade zum großen Zeitgeistporträt auf, mit einem Arsenal erlesener Zutaten.

Den feinen, melancholischen Soundtrack liefern die angesagten kanadischen Art-Rocker Arcade Fire, für die Jonze schon starke Musikvideos gedreht hat. Die feine, melancholische Weichzeichnerfotografie ist von Kameramann Hoyte van Hoytema, der zuletzt „Dame, König, As, Spion“ nach John le Carré in die Atmosphäre der Siebzigerjahre tunkte. Diesmal beschwört er ebenso atmosphärisch eine Zukunft, die der Gegenwart zum Verwechseln ähnlich ist: Nach dem alten „Alphaville“-Prinzip von Godard wird Science-Fiction-Stimmung auf heutigen Straßen gefunden, inklusive des Clous, dass die meisten Außenaufnahmen des in Los Angeles spielenden Films in Shanghai gedreht wurden. Diese Hochhauslandschaft – gelegentlich sieht man asiatische Schriftzeichen– sorgt automatisch für Futurismusgefühl.

Sirenengesang von Scarlett Johansson

Im Kern von Jonzes Vision ist aber die smarte Grundidee, die Smartphone-Ära mit ihrer sich rasch verändernden Welt der Verbindungen – eben auch der emotionalen – beim Wort zu nehmen: Die Liebesgeschichte von „Her“ findet nicht mehr zwischen zwei Menschen statt, sondern zwischen Theodore und seinem neuen Betriebssystem Samantha.

Das gibt den bewährten Wendungen der Handlung den Anstrich von etwas Neuem: Weltschmerz 2.0, in einer Ästhetik nahe an Werbespots, die Rettung aus eleganter Traurigkeit versprechen, indem man sich durch neue Medien „verbindet“. Jonze lädt zum sanften Schwelgen, will die Situation aber auch kritisch sehen: Theodore ist wie ein Wiedergänger des unbefriedigten Kummerkasten-Kolumnisten in Nathanel Wests großem satirischen Roman „Miss Lonelyhearts“. Bei Beautifulhandwrittenletters.com schreibt Theodore Surrogatliebesbriefe für andere, aber sein Leben ist so leer wie die Bücherregale im Junggesellenappartement. Die Schwierigkeiten menschlicher Beziehungen– Scheidung (von Rooney Mara), platonische Beziehung (mit Amy Adams) – lösen sich bequem mit Samanthas Installation: quasi eine iFreundin, die man per Pad oder Pod buchstäblich in die Tasche stecken kann. Im Original macht Scarlett Johanssons Stimme aus Versprechungen, selbst Dienstleistungsbotschaften des Betriebssystems, einen unwiderstehlichen Sirenengesang.

Samantha beginnt auch, die Gefühle zu erwidern: Eine bemerkenswerte Szene zeigt den Vereinigungsversuch des Mensch-Maschinen-Paars mittels menschlicher Blind-Date-Vermittlerin, deren Erfahrung per Kamera und Mikrofon an Samantha übertragen werden soll. Nicht nur das scheitert: Samanthas künstliche Intelligenz wächst Theodores menschlicher über den Kopf. Sogar die Tragödie des Films ist zeitgemäß ironisch: da Theodores „authentische“ Gefühle in einer Welt, in der alles warenförmig wird (wie die „Sexiness“ von Samantahs Stimme), keine objektive Entsprechung mehr finden können.

Neben dem geschickten Spiel mit der simulierten Liebe lädt „Her“ kunstvoll und etwas weinerlich ein, die Traurigkeit in der urbanen Hipster-Hölle der selbst geschaffenen Ersatzwelten zu teilen, während sie im postironischen Universum verpufft. Eine verständliche Reaktion. Und eine nutzlose. „Manchmal glaube ich, dass ich schon alles gefühlt habe, was ich fühlen kann“, sagt Theodore einmal. „Von jetzt an werde ich nichts Neues mehr fühlen.“ Dem Zuseher kann es mit der Zeit in „Her“ genauso gehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2014)

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