"Der goldene Kompass": Das verlorene Paradies

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Neu im Kino. Die Fantasy-Großproduktion „Der goldene Kompass“ wird Philip Pullmans Vorlage nicht gerecht.

Nichts am Film lässt die Entkernung der Romanvorlage erahnen: Der Goldene Kompass ist die Einpassung einer „Kinderfantasie“ ins umtobte Kino-Weihnachtsgeschäft, gegossen in klare Bildstrecken mit „überwältigenden“ Effekten und „hervorragenden“ Darstellern. Die Maßanfertigung verunstaltet das Ausgangsmaterial, das zu Recht als Markstein der fantastischen Literatur gilt.

Philip Pullmans Trilogie „His Dark Materials“ („Der Goldene Kompass“ ist Teil eins) spielt in einer Welt, die der unseren nur um wenige Zentimeter entrückt scheint: Viktorianische Kostüme und Dampfmaschinen vermengen sich mit hypermoderner Technologie zum zeitlosen Raum für eine Erzählung à la Dickens: Das Mädchen Lyra (Dakota Blue Richards) wächst am Oxforder College auf, bis sie die glanzvolle, janusgesichtige Mrs. Coulter (Nicole Kidman) zur Expedition gen Norden überredet.

Dorthin, erfährt man später, wurden etliche Kinder vom „Magisterium“ (eine repressive Autorität, die im Roman die Katholische Kirche bedeutet) entführt: In einer Forschungsstation wird mit ihnen experimentiert, die klerikalen Mächtigen wollen Trennung von Kind und Dæmon – der Seele eines menschlichen Wesens in Tiergestalt, die erst im Erwachsenenalter fixe Form annimmt. Pullman hat darin ein fantastisches wie schlüssiges Bild für die drohende Entmündigung des Einzelnen gefunden.

Getrieben wird Pullmans Erzählung von Lyra und deren emotionaler wie intellektueller Reifung angesichts dieser zerkugelnden Welt: Den Film aber bestimmt die Hau-Ruck-Einführung diverser Nebenfiguren, sein Design im Stil einer klassischen Heldenreise läuft Pullmans lyrischer Exkursion ins Innere einer Heranwachsenden zuwider.

Im Roman geht's um die Erbsünde

„His Dark Materials“ ist nicht nur eine famose Paraphrase von Miltons „Paradise Lost“, sondern auch Science-Fiction: Pullman webt wissenschaftliche Konzepte in Schlüsselstellen der Erzählung ein. „Staub“ ist ein Elementarteilchen, ähnlich der dunklen Materie „unserer“ Welt, das sich ausschließlich auf Erwachsenen ablagert, die ihre Unschuld verloren. Das „Magisterium“ setzt diesen Stoff mit der Erbsünde gleich: Pullman greift die gerade in den USA öffentlichkeitswirksamen Debatten im Grenzgebiet von Spiritualität und Empirie auf.

Kaum zu erwarten, dass die gegen institutionalisierte Religion im Allgemeinen und die katholische Kirche im Besonderen gewandte Erzählung ohne Abstriche die Leinwand erreichen würde. Eine betont antiautoritäre, im Geiste von Rousseau und Kleist formulierte Geschichte mit philosophischen Einsprengseln als Blockbuster, der zum christlichen Fest ins Kino locken soll?

Die Produktionsfirma „New Line Cinema“, auf der Suche nach einem Nachfolger zum Herrn der Ringe, entschied sich für „His Dark Materials“ – und für Regisseur Chris Weitz. Der warf bald das Handtuch – aus Angst, zwischen boykottierenden Christen, rasenden Pullman-Fans und enttäuschtem Studio aufgerieben zu werden. Einspringen sollte Brite Anand Tucker, auch er gab nach „kreativen Differenzen“ auf. Pullman selbst bat Weitz um Rückkehr auf den Regiestuhl. Ergebnis: die konsequente Löschung jedweder antireligiöser Züge; es bleibt eine konturlose Autorität, die Weltherrschaft anstrebt.

Zerbröselte Dramaturgie

Dramatisch ist dieses Ausbügeln inhaltlicher Falten, weil der Stoff ohne genügende Vermittlung der Hintergründe (wissenschaftlich oder religiös) zum Fantasy-Bombast werden muss: Kameraflüge über digital bearbeitete Schneewüsten, Kämpfe zwischen CGI-Eisbären und Hinwendung zu vorweihnachtlichem Sentiment (leidende Kinder, keimende Hoffnungen) zerbröseln die vorsichtige und mutige Dramaturgie von Pullmans Vorlage.

Darum sind die letzten Kapitel des Buchs nicht im Film: kein Happy End, undenkbar! Stattdessen darf ein Knalleffekt das filmische Mittelstück Das Magische Messer eröffnen: Das allerdings nur in Produktion gehen wird, wenn sich Der Goldene Kompass an der Kinokasse bewährt.

Ab 7. Dezember in den Kinos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2007)

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