Horror-Musical: Das Traumpaar tanzt vorm Todesstuhl

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Mörderisch gut, gesanglich dubios: Johnny Depp in Tim Burtons „Sweeney Todd“. Dieser ist Johnny Depps sechster Film gemeinsam mit Tim Burton. Ab Freitag.

Rechtzeitig zur winterlichen Oscar-Saison wartet Hollywood unvermeidlicherweise mit einem preiswärts schielenden Musical auf. Aber Tim Burtons aktuelles Singspiel Sweeney Todd (nach Stephen Sondheims Broadway-Erfolgsshow von 1979) wird kaum mit einschlägigen Gesangsschmeichlern wie Chicago oder Dreamgirls verwechselt werden.

Als – so der Untertitel – Der teuflische Barbier von der Fleet Street darf Johnny Depp im viktorianischen London zu schwerwiegendem Rasiermessermissbrauch an der ahnungslosen Kundschaft ansetzen. Für nahtlose Weiterverarbeitung der Opfer sorgt eine ergebene Komplizin (Helena Bonham Carter): Das Erfolgsrezept verhilft ihrem siechen Fleischpastetengeschäft zu ungeahntem Kundenzuspruch. Ein Stoff, wie geschaffen für Burton, dessen Metier der Mix von Schauerromantik mit schwarzem Humor ist, ob als Großproduktionà la Batman oder als kleines Puppenfilmvergnügen wie zuletzt im jenseitigen Trickfilmmärchen Corpse Bride.

Sweeney Todd ist zwar mit echten Schauspielern besetzt – Depp als langjähriges filmisches Alter Ego des Regisseurs und dessen Lebensgefährtin Bonham Carter tänzeln als ideal leichenbleiches Burton-Traumpaar durch die ironische Meuchelmär –, der Film ist in seiner digitalen Designwut aber in unmittelbarer Nähe der Animationsarbeiten des Filmemachers anzusiedeln: Wie David Finchers Zodiac und Wes Andersons The Darjeeling Limited ist Burtons Musical ein Schlüsselwerk im gegenwärtigen Übergang von analogem zu digitalem Kino.

Die derzeitigen Möglichkeiten zur kreativen Zwischenbearbeitung im Computer werden in diesen drei Filmen maximal ausgereizt: Die Manipulation von Farbe (oder im Fall des abgesehen von grauenvollen Blutfontänen vor allem grauen Londons von Sweeney Todd: deren Mangel), Lichtsetzung, sogar Bildkompositionen rückt den Spielfilm immer näher an Animationskino.

Die Mär wär' so schaurig-schön...

Burton, der Regie-Grafiker, setzt entsprechend eine digitale Signatur: Ein herzhafter Blutspritzer begleitet seine Nennung im Vorspann, das rote Rinnsal fließt weiter durch die mechanischen Eingeweide des vom mörderischen Barbier zur Entleibungsvereinfachung konstruierten Todesstuhls samt Falltür zum Pastetenofen im Keller.

Von dieser schaurig-schönen Eröffnung zur abschließenden Blutbad-Pietà setzt Burton auf maximale Stilisierung und kokettiert mit groteskem Witz: Aber gereizt hat ihn sicher eine Hintergrundgeschichte, die sich perfekt in seine Filmografie missverstandener Monster fügt. Depp spielt Sweeney Todd als wandelnden Kadaver mit stierem Blick und innigem Verhältnis zu Klingen (mit „Little Friends“ besingt er das Wiedersehen mit den von seiner ebenso totenblass geschminkten Kumpanin vorsorglich aufgehobenen Rasiermessern): Sein anschließendes Grand-Guignol-Massaker entspringt einstiger Tragödie, ein Gegenspieler raubte ihm Frau und Kind. Alan Rickman spielt diesen ruchlosen Richter mit natürlicher Niedertracht, angemessen abartig sind auch die anderen genüsslich-grässlichen Nebenfiguren: Timothy Spall als unheilverkündend seine Lippen leckender Justizscherge und Gaststar Sacha Baron Cohen als erpresserischer Rivale und erstes Opfer Todds. Sein kurzer Auftritt als „italienischer“ Friseur in viel zu knapper Montur und mit heftig überzogenem Akzent stellt alles in den Schatten.

...wenn sie auch noch singen könnten

Auch, weil er seine parodistische Serenade hingebungsvoll hinausschmettert. Denn so sehr Burton in eindrucksvollen Kamerafahrten und Dekordelirium schwelgt – eines kann er nicht vergessen machen: Nicht auszudenken, was aus Sweeney Todd geworden wäre, könnten seine Akteure singen. So mühen sich Depp, Bonham Carter und Kollegen beherzt, aber beschränkt bestechend an melodiösem Sprechen, wiewohl fast dauernd gesungen wird, oder jedenfalls: werden sollte. Sondheims komplexe Musik macht gelegentlich das Manko vergessen, lässt jene Gefühle anklingen, die Burton offenkundig anstrebte. Deutlich wird dabei auch, wie die Verfilmung die Vielschichtigkeit der Vorlage zum gewitzten Gruselstück reduziert: Es hat immerhin unheimlichen Unterhaltungswert.

DEPP & BURTON: Erfolgsduo

„Sweeney Todd“ ist Johnny Depps sechster Film mit Tim Burton. Davor: „Edward mit den Scherenhänden“ (1990), „Ed Wood“ (1994), „Sleepy Hollow“ (1999), „Charlie und die Schokoladenfabrik“ (2005) und der Puppenfilm „Corpse Bride“ (2005, als Sprecher).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2008)

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