"No Country for Old Men": Kühles Kalkül - Folge der Blutspur

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Americana, abgebrüht: Anmerkungen zu „No Country for Old Men“, dem so unterhaltsamen wie überschätzten Comeback der Coen-Brüder. Ab Freitag.

Nicht sehr weit oben auf der Liste der Dinge, die man den auf clevere, postmoderne Krimis spezialisierten Filmemacher-Brüdern Joel und Ethan Coen gerne vorwirft, steht ein Übermaß an Gefühl. Wie zum Beweis merkt die Erzählerstimme in ihrem designierten Comeback-Film "No Country for Old Men" eingangs an, dass man es hier mit einem Fall zu tun hätte, der wie ein crime of passion, wie ein Verbrechen aus Leidenschaft wirke – nur eben ohne die Leidenschaft.

Die Stimme gehört einem konservativen Provinzsheriff (Tommy Lee Jones), der als eine Art resigniertes Gewissen des Films jener Blutspur folgt, die sich in den 1980ern durch Texas zieht: Ein wortkarger Jäger (exzellent: Josh Brolin) stößt in der Wüste auf einen Leichenberg aus einem gescheitertem Drogendeal. Und auf Dollarmillionen. Ein unaufhaltsamer Killer (originell frisiert: Javier Bardem) heftet sich prompt auf seine Fersen, er neigt bei den Nachforschungen zur psychologischen Folter Unbeteiligter.

Knappe Action und Hinterwäldlerwitz

Sein Kalkül ist dabei so kühl wie dasjenige, mit dem die Coens ihre Erfolgsfilme gestalten: Seit dem Pokerface-Debüt mit dem Texas-Neonoir Blood Simple widmen sie sich weniger den Gefühlen ihrer Figuren als der Feinmechanik von Genres, abgeschmeckt mit einem Schuss Spannung und einer erklecklichen Prise schwarzen Humors. Vor Quentin Tarantino etablierten sie sich so als Fixgröße einer von „Independent“-Originalität zum Studiokino tendierenden, angesagten US-Filmwelle der 90er: Doch das handwerkliche Geschick und die Zeitgeistigkeit der Coen-Hits – von der schwarzen Schreiber-Saga Barton Fink über den Oscar-prämierten Provinzkrimi Fargo zur heiteren Posthippie-Pastiche The Big Lebowski – schienen zuletzt abhanden gekommen: Ihr glatter Screwball-Tribut Intolerable Crueltyund das vollends ruinöse Remake Ladykillers stießen auf wenig Gegenliebe.

Die Notwendigkeit zur künstlerischen Rückbesinnung ist No Country for Old Men (nach Cormac McCarthys gleichnamigem Roman) also deutlich anzusehen. Das Kalkül dürfte aufgegangen sein: Der Thriller war Kritikerliebling im Cannes-Wettbewerb 2007, marschierte dann durch einen Preisregen zur Oscar-Verleihung. Wohl auch weil er trotz Nähe zur Vorlage wie ein Greatest-Hits-Programm von Coen-Vorlieben wirkt: Das Katz-und-Maus-Spiel kombiniert knappe, effektive Action, mit Könnerblick konzipierte Spannungsszenen und ultratrockenem Hinterwäldlerwitz (samt angelegentlicher parodistischer Musikuntermalung).

Dieser Coen-typische Unernst will schon zwischendurch nicht so recht in McCarthys alttestamentarische Welt passen: Ein Woody Harrelson verleiht seiner Detektivparodie noch Sympathiewerte, der billige Schmäh lustiger Mariachis im Weitwinkelobjekiv steht aber in merkwürdigem Kontrast zum exquisit gestalteten Gemetzel von Bardems übermenschlich coolem Killer. Das wirkliche Problem zeigt sich erst gegen Ende, bis dahin funktioniert der Film trotz Comedy-Ausrutscher ganz gut als kaltes Suspense-Stück. Im Schlussakt aber bemühen die Coens plötzlich Profundität – und ihr Konzept fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Zwar sparen sie strategisch geschickt Gewaltakte aus, um den verblüfften Zuseher auf die Wende zu titelgemäßer Tiefgründigkeit einzustimmen. Allein, das Philosophieren des Sheriffs, dem die poetische Klage wegen Werteverlust und Zeitenwandel obliegt, kommt buchstäblich aus dem Nichts – anders als im Roman, wo seine Betrachtungen in regelmäßigen Abständen einfließen.

Zurück bleibt ein eigenartiges Vakuum

So bleibt ein eigentümliches Vakuum zurück: Jones' Sheriff sollte der Held des Films sein, ist es aber nicht, sonst wirkte der Schluss nicht so aufgesetzt und unverdient. Brolins Gejagter wirkt lang wie der Held, kann es aber nicht sein: Gemäß der Struktur des Films wird er gewogen und für zu leicht befunden. Bleibt Bardems ironisch glamouröses Monster als zynische Lösung: Auch weil die Coens die Figur, die eine Naturgewalt bleiben müsste, in für sich gut funktionierenden, aber im Gesamtkontext unguten Szenen humanisieren. Als hätte das Wissen, welchen Film sie (für Fans wie ein größeres Publikum) machen sollen, verhindert, dass es der Film wird, den sie offenbar machen wollen: Den Werteverfall, den die Coens angeblich beklagen, vollziehen sie gleich mit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2008)

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