Experimentalfilm: Die Geduld der Welt

(c) Astrid Ofner
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„Sag es mir Dienstag“, Astrid Ofners bemerkenswerte, bewegende Kafka-Miniatur. Ab Freitag.

Ich sah heute einen Plan von Wien, einen Augenblick lang erschien es mir unverständlich, daß man eine so große Stadt aufgebaut hat, während du doch nur ein Zimmer brauchst.“ Am 23.Juni 1920, kurz bevor er sie für wenige Tage in Wien treffen wird, schreibt Franz Kafka aus Meran diese Zeilen an die Geliebte Milena Jesenská. Zwei Tage später fragt er sich in einem weiteren Brief: „Gibt es überhaupt Milena auf der Welt soviel Geduld, wie für mich nötig ist? Sag es mir Dienstag.“

Was Milena sagte, ist Geheimnis geblieben. Über die vier gemeinsamen Tage lässt sich nur spekulieren, anhand von Briefen und Tagebuchnotizen, passend für eine ganz im Wortsinn vor allem literarische Beziehung. Sag es mir Dienstag ist auch Titel eines 26-minütigen Filmgedichts von Astrid Ofner, in dem sie von Sylvie Rohrer sorgsam gelesenen Kafka-Passagen ihre Wien-Bilder gegenüberstellt, die nicht nur wegen der geisterhaften Textur des sehr körnigen, alten Super-8-Filmmaterials eine magisch entrückte Qualität haben.

Ofner filmt Gefühlslandschaften, kleine Momente des Werdens und Vergehens, mit einem persönlichen Hauch von Melancholie, der Kafkas Aufzeichnungen ergänzt, ohne sie zu illustrieren: Draußen am Donauufer in Kritzendorf das Branden der Wellen oder das Spiel des Sonnenlichts im Laubwerk; in Wien der soghafte Anblick des in verschiedenen Geschwindigkeiten auf zwei Spuren fließenden Verkehrs oder einsam schweifende Blicke aus Bahnfenstern; und irgendwo im Inneren der großen Stadt ein Zimmer: leer, und doch behaust.

Behutsam sind schwarzweiße Stücke zwischen die mattglänzenden Farbflächen eingeschoben, die entsprechenden Wechsel der Konturen scheinen mit Kafkas Beobachtung einer „Naturerscheinung [...], wie ich sie noch nie geseh'n haben“ zu korrespondieren. „Sonnenlicht, das nicht durch Wolken, sondern aus sich selbst trübe wird.“

Eine erstaunliche Intensität der Emotionen ist, nicht nur wegen der Intimität der Briefpassagen, Ofners Film deutlich anzumerken: Vielleicht auch, weil es für die aus Linz kommenden Filmemacherin die erste Arbeit seit über einem Jahrzehnt ist – Mitte der 1990er hatte sie die viel beachteten Filme Jetzt und alle Zeit sowie Ins Leere inszeniert, nachdem sie die Antigone für das große, strenge Kunstfilmerduo Danièle Huillet und Jean-Marie Straub gespielt hatte.

Kafkas Poesie spürbar gemacht

Deren Nachhall ist am ehesten in der Organisation des Ton- und Bilderflusses von Sag es mir Dienstag zu spüren, auch wenn dessen Poetik wesentlich zugänglicher ist als der spröde Materialismus von Straub/Huillet: Ofner arbeitet musikalisch, aber in einem ungewohnten, introvertierten Register. Entsprechend sorgen Takte von Webern-Musik wiederholt, und auf merkwürdig nachdenkliche Weise, für ein Gefühl des Unheimlichen: Selbst die Fahrt ans Riesenrad mutet dann mysteriös an.

Er wolle sich die Sehenswürdigkeiten ansehen, notiert Kafka bei seinem Besuch in Wien, und fügt in seiner unnachahmlich trockenen, dennoch ans Metaphysische rührenden Art an: „möglichst unsichtbar“. Diese Poesie des Faktischen, zugleich Unergründlichen macht Ofners Film spürbar. Das Geheimnis von Kafka und seiner Milena kommt dabei näher und bleibt doch unerreichbar: Der Dienstag ist für immer dahin und steht in alle Ewigkeit bevor.

„Sag es mir Dienstag“:ab Freitag, dem 7.3.,im Wiener Stadtkino, gemeinsam mit dem Kurzfilm „Eine Million Kredit ist normal, sagt mein Großvater“ von Gabriele Mathes.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2008)

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