Cannes: Eins zu null für die Realität

Grace de Monaco
Grace de Monaco(c) Square One/Universum
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Gepflegte Langeweile vor fürstlichem Hintergrund: Cannes eröffnet mit „Grace de Monaco“. Die Fürstenfamilie war freilich pikiert, der Film sei „reine Fiktion“. Ab morgen im Kino.

Noch vor der Eröffnung der 67. Filmfestspiele von Cannes standen die ersten Sieger fest: Überraschenderweise haben sie mit Film kaum etwas zu tun – es handelt sich um die monegassische Fürstenfamilie, die heuer die Teilnahme an der Eröffnung aus Protest abgesagt hat. Denn der heurige Startfilm, „Grace de Monaco“, sei „in keiner Weise realistisch“: Nicht nur hätten Regisseur Oliver Dahan und seine Produzenten (zu viele, um sie angesichts dieses US-französisch-belgisch-italienischen Prestige-Koproduktionsmammuts zu nennen) es abgelehnt, „die Anmerkungen der Familie zu berücksichtigen“, hieß es in einem pikierten Statement aus dem Fürstenpalast zu Monaco. Das resultierende Machwerk sei teilweise reine Fiktion, historisch ungenau und eine Verdrehung der Familiengeschichte. Wie auch immer: Die Fürstenfamilie hat sich durch ihr weises Fernbleiben jedenfalls auch 103 Minuten gepflegter Langeweile erspart.

Bevor man sich den theoretisch interessanten, in der praktischen Umsetzung aber aller Spannung beraubten Intrigen im Film zuwendet, lohnt es sich kurz, das Intrigenspiel rund um „Grace de Monaco“ selbst zu resümieren: Der Film über die zur Fürstin gewordene Hollywood-Diva hätte eigentlich im Vorjahr veröffentlicht werden sollen – als Oscar-Vehikel für Nicole Kidman, gesteuert vom mächtigen US-Verleiher Harvey Weinstein, der auf diese Art von Academy-Award-Kampagne spezialisiert ist: 2008 trug sie etwa Oscar-Früchte für Marion Cotillard als Hauptdarstellerin des Films „La vie en rose“ über Edith Piaf. Diesen hatte niemand anderer als Dahan inszeniert, womit er sich offenbar für die Grace-Biografie qualifizierte.

Harvey mit den Scherenhänden

Doch der auch als „Harvey mit den Scherenhänden“ bekannte Produzent Weinstein war mit Dahans Endfassung unzufrieden und beschloss, wie so oft, den Film selbst umzuschneiden – woraufhin der Regisseur bereits letzten Oktober heftig protestierte: Weinsteins Cut sei „katastrophal“, ja „un tas de merde“. Das Urteil sei ihm unbenommen. Offensichtlich liegen die Parteien noch immer im Streit: In Europa läuft der Film (in Dahans Version) sofort an, um die Cannes-Publicity mitzunehmen, in den USA, wo Weinstein die Rechte hat, wurde der Start bis auf Weiteres vertagt. Die Affäre wirft ein amüsantes Schlaglicht auf den Traum, mit dem in „Grace de Monaco“ die relativ frischgebackene Fürstin für Konflikte sorgt: ihrem Wunsch, nach Hollywood zurückzukehren.

Kein Geringerer als Alfred Hitchcock, der Grace Kelly in „Rear Window“ und „To Catch a Thief“ ihre ikonischen Rollen gegeben hat, bietet der nunmehrigen Fürstin Gracia Patricia zu Anfang von Dahans Film den Titelpart seines nächsten Projekts, „Marnie“, an. Man schreibt das Jahr 1962, sechs Jahre sind seit ihrer „Hochzeit des Jahrhunderts“ mit Fürst Rainier III. vergangen. Die Stimmung im Fürstenhaus steht nicht zum Besten – Tim Roth hat in der Fürstenrolle die undankbare Pflicht, von monarchischen Erwägungen hauptsächlich kettenrauchend so mitgenommen zu sein, dass von der großen Liebe nur wenig zu spüren ist. Dafür herrscht Druck. Auf der einen Seite von Hitchcock (hier so väterlich-freundlich gezeichnet, dass es ebenso lächerlich wie seine „Psychologisierung“ in „Hitchcock“ mit Anthony Hopkins wirkt), der Grace wieder im frivolen Schauspielerberuf besetzen möchte – was sich für eine Monarchin aus Repräsentationsgründen nicht gehört. Auf der anderen Seite von Charles de Gaulle, der im Prinzip Monaco besetzen möchte – jedenfalls steuerrechtlich, wegen der Einnahmen –, und Rainier samt seinem Fürstentum von der Außenwelt abriegelt.

Vor allem Dekor und Kleidung

Das führt zu vielen Debatten, bis sich Grace – Nicole Kidman ist schauspielerisch genauso wenig gefordert wie ihre Kollegen – zu einer Entscheidung durchringt und einen Coup landet. Der ist kein Coup de grâce, sondern involviert zahllose Staatsoberhäupter, das Rote Kreuz und eine herzliche Ansprache. Als Filmhöhepunkt ist sie so wenig erinnernswert wie fast alles davor – es sei denn, das Hauptinteresse gilt Dekor und Kleidung. Womit wir wieder direkt bei Cannes wären, dem dieser Eröffnungsfilm ebenso wenig wie die meisten der letzten Jahre, ja Dekaden schaden wird – hier versteht man wenigstens die Attraktivität der Kombination: US-Star und französischer Regisseur, die Nachbarschaft von Cannes als Schauplatz und Kino als Thema. Zur Premiere geht es nur mehr darum, die Ehrengäste nicht durch Kunst zu irritieren. Sieht man von der monegassischen Fürstenfamilie ab, ist das so gelaufen wie jedes Jahr. Man hofft, dass es sich nicht wieder in den Wettbewerb weiterzieht.

AUF EINEN BLICK

Der Wettbewerb. Die 67. Filmfestspiele Cannes wurden Mittwochabend mit „Grace de Monaco“ außer Konkurrenz eröffnet, im Wettbewerb stellt am Donnerstag Mike Leigh seine Malerbiografie „Mr.Turner“ vor, am Samstag folgt „Saint Laurent“ von Bertrand Bonello. Auch Österreichs Cannes-Beitrag ist historisch-biografisch: In „Amour fou“ erzählt Jessica Hausner von Heinrich von Kleist und seinem Freitod. Ihr Film hat am Freitag im Zweitwettbewerb „Un certain regard“ Premiere.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2014)

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