Tom Cruise muss circa 134 Mal sterben

Edge of Tomorrow
Edge of Tomorrow(c) Warner Bros.
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„Edge of Tomorrow“. Doug Limans amüsanter Zeitschleifen-Blockbuster schickt nicht nur einfach seinen Star immer wieder in den Tod, er verschränkt überhaupt erstaunlich intelligent Spektakel, Witz und Stimulation

Etwa 20 Minuten lang scheint hier alles nach Blockbuster-Formel zu verlaufen, von ein paar Irritationen abgesehen: Doug Limans Science-Fiction-Großproduktion „Edge of Tomorrow“ beginnt wieder einmal mit einem TV-Nachrichten-Zusammenschnitt, der erklärt, dass die Apokalypse im Wesentlichen schon stattgefunden hat.

Die Mimic-Plage, eine Invasion außerirdischer Spinnenwesen, hat bereits Europas Festland überrollt und breitet sich unbarmherzig aus. Die Operation Downfall soll die Rettung bringen: Eine Art zweite D-Day-Landung über den Kanal an Frankreichs Küste soll die metallische Spinnenarmada zurückdrängen. Hoffnung in aussichtsloser Lage bietet nur Supersoldatin Rita Vrataski (Emily Blunt), nach ihrem Sieg sofort von der PR-Maschinerie zum breitflächig plakatierten „Engel von Verdun“ hochstilisiert.

Ein aalglatter Spin Doctor als Soldat

Und der Held des Films? Der unverbindlich lächelnde, aalglatte Spin Doctor hinter dieser Werbeaktion: William Cage (Tom Cruise) ist nur aus taktischen Gründen beim Heer, das (typisch Cruise'sche) Grinsen wird ihm aber am Vortag der Schlacht schlagartig aus dem Gesicht gewischt, als ihm der General (Brendan Gleeson) abfällig befiehlt, er müsse sich der Invasionstruppe anschließen. Genau den Fronteinsatz wollte Cage vermeiden – und überhaupt könne er kein Blut sehen, sagt er noch, bevor er überwältigt wird und in Heathrow in den Fängen eines herrischen Offiziers (erheiternd: Bill Paxton) erwacht.

Allen Protesten zum Trotz landet Cage anderntags im Invasionsinferno, das wie die Fusion aus dem Anfangsgemetzel von „Saving Private Ryan“ und den Käferkämpfen aus „Starship Troopers“ wirkt: Cage muss mitansehen, wie im chancenlosen Gefecht die Männer seines Bataillons ausgelöscht werden – und sogar sein herrlicher Engel von Verdun. Sofort darauf erwischt es ihn selbst.

„Edge of Tomorrow“ ist aber nicht so amüsant, weil es der kürzeste Cruise-Film ist: Das vermeintliche Ende ist der Anfang eines intelligenten Zeitschleifenkonstrukts. Dank Science-Fiction-Logik, die sich nicht weiter zu erörtern lohnt, erwacht Cage fassungslos wieder – genau am Vortag bei seiner Ankunft in Heathrow. Versuche, das Fiasko zu verhindern, indem er seine unglaubwürdig klingende Geschichte erzählt, stoßen auf erwartbare Schwierigkeiten. So muss sich Cage durch immer neue Anläufe vorarbeiten – so wie Bill Murray in der cleveren Komödie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ denselben Tag wieder und wieder anging, bis er zur rettenden Lösung fand.

Auch dieser Film schlägt aus der absurden Ausgangsbasis komisches Kapital und macht aus dem Wiederholungsprinzip ein abwechslungsreiches Vergnügen, das dem Zuseher spielerisch erklärt, wie die Variationen funktionieren: Jedes Mal, wenn Cage stirbt, beginnt die Mission von vorn – geradlinigen Erkenntnissen in den ersten Durchläufen folgen belustigende und überraschende Wendungen, etwa wenn Cage unerwartet reagiert, weil er eine vermeintlich neue Situation schon Dutzende Male erlebt hat. Anderswo wird monatelanges Ausprobieren in pointierten Sekundenmontagen verdichtet.

Vorlage: „All You Need Is Kill“

Bald kann Cage den „Engel“ einspannen und lässt sich von ihr trainieren: Bei Fehlleistungen wird er unweigerlich und gelassen von ihr für den Neustart exekutiert – eine der bösen Pointen, die viel vom Reiz dieses Films erzählen, der souverän und temporeich ein klassisches Science-Fiction-Sujet mit der Bonusleben-Logik von Computerspielen kombiniert und mit in Blockbustern mittlerweile ungewohntem Witz, von der surrealen Idee (Vorlage: der viel gelobte Roman „All You Need Is Kill“ vom Japaner Hiroshi Sakurazaka) zum zweischneidigen Umgang mit dem Image seines Stars, der sich nach Fehlgriffen wie „Oblivion“ hier ein Comeback verdient.

Regisseur Liman, der schon in „Go“ oder „Jumper“ mit Zeitsprüngen spielte und nun seinen besten Film seit „The Bourne Identity“ vorlegt, scheint in seinem Element: Abgesehen vom unnötigen 3-D und einer Auflösung, die (trotz des Louvre als Schauplatzes) etwas schwächer ist, als es die erfinderischen Kapriolen zuvor waren, zeigt sich „Edge of Tomorrow“ als jener Mix aus Spektakel und stimulierenden Ideen, die in Hollywoods Großkino rar geworden sind. Trotzdem sorgen sich Insider vorab um die Kassenchancen dieser 175-Million-Dollar-Produktion, nachdem die letzten Cruise-Vehikel an der Kassa enttäuschten: Dabei sollte ein Film, in dem der Star circa 134 Mal stirbt, seine Fans wie auch seine Hasser ansprechen. Doch da „Edge of Tomorrow“ weder Comic-Adaption noch Fortsetzung ist, ermöglicht er keine automatische Marketingstrategie. Was offenbar dieser Tage mehr zählt als die Qualität.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2014)

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