Neu im Kino: Die Killer auf dem Kirchturm

(c) Tobis (Jaap Buitendijk)
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„Brügge sehen...und sterben?“, ein wilder Genremix. Ab Freitag.

Die Profikiller Ken und Ray sind in der belgischen Grachten-Stadt Brügge angekommen, wo sie nach einem Job in London ausharren, bis sie von Gangsterboss Harry (entzückend diabolisch: Ralph Fiennes) weitere Weisungen erhalten.

Brügge sehen...und sterben? (im Original schlicht: In Bruges) ist das Langfilmdebüt des britischen Theaterautors Martin McDonagh. Anfangs lebt sein irrwitziges Genre-Hybrid (teils Komödie, teils Drama, teils Thriller) noch von der Gegensätzlichkeit seiner Hauptdarsteller: Brendan Gleeson verleiht dem alten Hasen Ken den Anschein eines kultivierten Herrn mittleren Alters, der sich, beflissen von den historischen Reizen des Orts, die Sehenswürdigkeiten des mittelalterlichen Stadtkerns einverleibt. „Brügge ist ein Scheißkaff!“ bellt ihm der emotional und intellektuell herausgeforderte Ray (überraschend glaubwürdig: Colin Farrell) entgegen, wenn er etwa von seinem väterlichen Killer-Kompagnon zur Wertschätzung der Heilig-Blut-Basilika genötigt wird. Das sakrale Gemäuer reißt in dem Jungspund eine ganz andere Wunde auf: Ray hat aus Versehen einen kleinen Buben erschossen und diese Schuld erdrückt ihn jetzt. „Das wird niemals weggehen. Außer ich gehe weg.“

Sog durch surrealistische Bilder

Bevor McDonaghs launiger Film in die Selbstzerstörung abzweigt, erweist er dem Euro-Thriller der 1970er, im Besonderen Nicholas Roegs Venedig-Schocker Wenn die Gondeln Trauer tragen (1973), seine Reverenz. Im Kern von Brügge beobachten Ken und Ray die Dreharbeiten zu einem Remake dieses Genreklassikers und freunden sich mit einem Zwergendarsteller (gespielt von Peter Dinklage, auch das ein Verweis auf Roegs Film) an.

Brügge sehen...und sterben? entwickelt einen von surrealistischen Bildern und gegen die Erwartungen gebürsteten Handlungssträngen angetriebenen Sog: Die Profikiller stecken bald in einer dichten atmosphärischen Suppe. Doch dann ruft Harry an und gibt Ken den Befehl, seinen Schützling Ray zu entsorgen. Ab da versucht McDonagh seinen genüsslich über die Stränge schlagenden Film wieder zu zäumen: Die neue Bedrohungskonstellation soll eine Thrillerdramaturgie antreiben. Da der herkömmliche Spannungsfaden aber nicht nur gerissen, sondern gar nicht erst ausgelegt worden ist, hat sogar die pompös inszenierte Ankunft von Fiennes' Obergauner einen eher zeremoniellen als einen erschreckenden Beigeschmack.

McDonaghs Figuren sind – wie Großteile der Handlung – ein Zusammenzug aus etlichen seiner Bühnenstücke, sie funktionieren noch nach moralischen Prinzipien, und sind damit völlig gegensätzlich zu den nihilistischen Comic-Figuren aus den Räuberpistolen des Kollegen Guy Ritchie wie Snatch. Auch deshalb werden zum Ende hin alle Fragen geklärt: Die Killer-Triangel schießt sich auf einem Kirchturm die Kugeln um die Ohren, Carter Burwells bis dahin sanftmütiges Soundtrackgeklimper schwingt sich zum Schwermetalldonner auf. Brügge sehen...und sterben? ist ein erregender Genrebastard: Gerade weil die verschiedenen Tonlagen nicht aufeinander abgestimmt sind, weil sich Beziehungskomödie, Groteske und Blutoper nicht an der Hand nehmen, sondern aneinander reiben, erreicht McDonaghs Erstling eine unwiderstehliche Wirkung. mak

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2008)

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