Neon, Eis, Gewalt, Leere: Ein Thriller aus China

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Regisseur Diao Yinan zeigt in seinem Krimidrama „Feuerwerk am helllichten Tage“ die tristen Verhältnisse, in denen viele Chinesen leben. Ohne Sozialkritik. Das Propagandaministerium sieht das trotzdem nicht gern.

Ein abgetrennter Arm auf Reisen: Er liegt auf der Ladefläche eines Lastwagens, ganz oben auf einem Haufen Kohle. Als die schwarzen Brocken in einer Fabrik entladen werden, sieht man den Arm auf einem Förderband . . .

Es sind unwirkliche Bilder, mit denen „Feuerwerk am helllichten Tage“ eröffnet. Man ist versucht, sie zu interpretieren als Metapher für die unmenschlichen Bedingungen, unter denen viele Fabrikarbeiter zu leiden haben. Regisseur Diao Yinan (geboren 1969 in Xi'an) spinnt sein Szenario allerdings in eine andere Richtung weiter: Die Sozialkritik, die diesem Film attestiert wurde, nachdem ihm auf der vergangenen Berlinale der Goldene Bär verliehen worden war, bleibt bloße Behauptung. „Feuerwerk am helllichten Tage“ verwendet das industrielle Brachland im Nordosten Chinas lediglich als visuell interessante Bühne für ein Krimidrama.

1999, als die Polizei nicht nur den einen abgetrennten Arm, sondern Dutzende Leichenteile in diversen Kohlewerken entdeckt, kommt sie schnell einem Verdächtigen auf die Spur. Bei dessen versuchter Festnahme in einem Friseursalon werden zwei Kollegen von Polizist Zhang Zili (auf der Berlinale mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet: Liao Fan) erschossen, er selbst wird suspendiert. Fünf Jahre später zieht er als Sicherheitsbeamter seine Runden: Die Erinnerungen an den folgenschweren Einsatz versucht er mit Alkohol zu betäuben. Wer irgendwann irgendeinen Krimi gesehen hat, weiß, das geht nicht gut: Bald werden wieder abgetrennte Gliedmaßen gefunden, bald geht die Suche nach dem Serienmörder wieder los.

Zu wenig „thrilling“, träge Dialoge

„Feuerwerk am helllichten Tage“ durchverdaut etliche Versatzstücke des Film Noir: Der angeschlagene, alkoholkranke Ex-Polizist gehört ebenso zu den Grundrequisiten des Genres wie eine undurchsichtige Femme fatale. Die Taiwanesin Kwai Lun-Mei füllt die Rolle der Wäschereimitarbeiterin Wu Zhizhen perfekt aus: Mit starrem Blick und eiserner Miene gleitet sie durch diesen Film. Als Witwe des damals Ermordeten kommt ihr auch im Kriminalfall eine Schlüsselrolle zu. Zili verfällt ihr zusehends. Viele der besten Sequenzen gehören den beiden. Etwa wenn er sie durch die bitterkalte Winterlandschaft verfolgt und das Geräusch von Schnee und Eis, das unter ihren Füßen kracht und knirscht, einen beständigen Rhythmus vorgibt. Oder auch, wenn sie in der Gondel eines traurig durch die Nacht leuchtenden Riesenrades sitzen, in einem der wenigen ruhigen Momente, die ihnen das Drehbuch gewährt. Die Bilder von Kameramann Dong Jingsong suchen beständig die Neonlichter und setzen sie in einen starken Kontrast zur unwirtlichen Umgebung: Es ist eine unwirkliche Atmosphäre, die so entsteht. Die Wirkung ist allerdings weniger befreiend als bedrohlich.

Trotzdem: So ganz geht Diao Yinans Plan, einen Serienmörder-Thriller im selten gezeigten Nordosten Chinas anzusiedeln, nicht auf. Dafür ist „Feuerwerk am helllichten Tage“ schlichtweg zu wenig „thrilling“. Momente greller Gewalt, etwa wenn Zilis Kollege vom Mörder mit einer Schlittschuhkufe getötet wird, stehen neben zu viel Leerlauf. Die entvölkerten Bilder produzieren zwar Atmosphäre, allerdings kein Gefühl. Die Liebesbeziehung zwischen Zili und Zhizhen überträgt sich genauso wenig auf den Zuseher wie die Mörderjagd, die sich nicht in Handlungsmomenten, sondern in recht trägen Dialogen zuspitzt.

„A Touch of Sin“ ist intelligenter

Dennoch war das Projekt ein riskantes: Das Propagandaministerium sieht es ungern, wenn Filme die tristen Verhältnisse, in denen viele Chinesen leben müssen, herausstreichen. Diao Yinans ein Jahr jüngerer Landsmann Jia Zhangke hat deshalb lange Jahre überhaupt im Untergrund, also ohne staatliche Bewilligung, gedreht. Sein letzter Film, das – in Cannes 2013 mit dem Drehbuchpreis ausgezeichnete – episodische Gewalt-Drama „A Touch of Sin“, wurde zwar offiziell genehmigt, ist bis heute allerdings nicht in die chinesischen Kinos gekommen.
Zhangke erzählt darin vier Geschichten aus dem zeitgenössischen China: In allen kommt es zu Gewalttaten, die, das legt die Inszenierung nahe, durchaus auch eine indirekte Reaktion auf das Alltagsleben im China der Gegenwart sind oder sein könnten. „A Touch of Sin“ ist im Zusammendenken von sozialer Tristesse und Verbrechen weitaus intelligenter und radikaler als „Feuerwerk am helllichten Tage“.

Von Diao Yinans Film bleibt nur eine Abfolge von schönen Bildern übrig. Wie sich die Menschen zum Donauwalzer über den Eislaufplatz drehen. Wie die Figuren sogar in Innenräumen dicke Daunenjacken tragen, um sich vor der beißenden Kälte zu schützen. Wie plötzlich ein Pferd in einem Flur steht. Wie dann am Ende tatsächlich ein Feuerwerk am helllichten Tage abbrennt, in einer Wohnsiedlung, irgendwo im Nordosten Chinas.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2014)

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