Schau ihm in die Augen! So bist du!

King Kong
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Der Affe im Film ist ein Sinnbild für das Primitive im Menschen. Er agiert jene sexuellen und gewalttätigen Triebe aus, die bei uns tief begraben liegen.

Unlängst machte ein Video im Netz seine Runde: Zwei Schimpansen waren bei einem Kinobesuch zu sehen. An den Händen ihrer Halter marschierten sie ins Foyer und bezahlten ihr Popcorn mit Dollar-Scheinen. Film der Wahl war „Planet der Affen: Revolution“: Ein Nachtsichtgerät, das während der gesamten Vorstellung auf die Primaten gerichtet war, offenbarte dann – zumindest im Videozusammenschnitt – das, was Tierliebhaber immer schon geahnt haben. Die Schimpansen applaudieren den guten Affen im Film, während sie sich bei den bösen die Hände vor die Augen halten.


Tarzan und das Menschenfleisch. „Was bist du, Tarzan? Ein Affe oder ein Mensch?“, fragt sich Edgar Rice Burroughs Romanfigur in dem Moment, als er einen französischen Offizier im Dschungel zurücklässt. Dann setzt er nach: „Bist du ein Affe, dann wirst du dich so verhalten, wie Affen sich verhalten würden – du lässt deinesgleichen im Dschungel einfach zugrunde gehen, sollte es dir einfallen, woandershin zu ziehen. Bist du ein Mensch, dann kehrst du jetzt um, um deinesgleichen zu schützen.“ Heutige Leser sind kaum vorbereitet auf die Brutalität, mit der Burroughs Roman „Tarzan bei den Affen“ die Grenzlinie zieht zwischen Mensch und Tier. In Dutzenden Filmen hat man seinen Helden kennengelernt als anmutigen Primitiven, der sich an Lianen entlangschwingt. Vom Waisenkind, das zum weißen Affen des Dschungels wird, mit bloßer Hand Aggressoren tötet und darüber sinniert, ob es Menschenfleisch verzehren soll, wollte Hollywood zumindest im frühen 20. Jahrhundert noch nichts wissen.

Damals kam es einer Sensation gleich, überhaupt einen Primaten leibhaftig zu sehen. In Zoos fanden sich kaum welche und ethnografische Filme über Expeditionen in exotische Länder mauserten sich zu Kassenschlagern. 1930 kommt etwa „Ingagi“ in die Kinos: Darin zu sehen war ein Ritual, bei dem afrikanische Frauen zu Sex-Sklavinnen für Gorillas gemacht werden und Kinder gebären, die Primaten ähnlicher sehen als Menschen. „The most sensational picture ever filmed!“ war natürlich nicht, wie beworben, eine Dokumentation, sondern frühes Beispiel für Exploitationkunst, die das Publikum geschickt in die Irre führt. Das reagierte schockiert und fasziniert. „Ingagi“ wurde zu einem der erfolgreichsten Filme des Jahres und dürfte auch die Geburt eines ikonischen Kino-Monsters eingeleitet haben: Denn der Horrorfilm „King Kong“ setzte 1933 ebenfalls auf eine Kombination von attraktiver Frau und Gorilla, wenn auch unter anderen Vorzeichen und in gänzlich anderer Ausführung.

Die Regisseure Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack übersprangen die B-Filmschranke allerdings mit innovativer Filmtechnik und einem intelligenten Drehbuch, das die anfängliche Bedrohung durch den gigantischen King Kong invertiert und den Riesenaffen im Finale als Opfer menschlicher Hybris und Sensationslust zeigt.

Die Dichotomie zwischen dem Primitiven und dem Zivilisierten leitet so gut wie alle Filme an, in denen Primaten entscheidende Rollen spielen. Eine leicht abgewandelte Variation auf das Thema zeigte Jack Arnold 1958 etwa in „Der Schrecken schleicht durch die Nacht“. Ein Universitätsprofessor verwandelt sich, nachdem er sich mit Urzeitbakterien infiziert hat, in eine Art Neandertaler, der aber ebenso gut ein Primat sein könnte und mordend über den Campus zieht. Das Kino hatte eben immer schon Freude daran, evolutionsbiologische Fakten herauszufordern oder umzukrempeln – und das Publikum so in Angst zu versetzen.

1968 sorgte Franklin J. Schaffners Leinwand-Adaption von Pierre Boulles Roman „Planet der Affen“ für weltweite Erschütterung: Charlton Heston bruchlandet darin auf einem ihm unbekannten Planeten. Nach mehrtägiger Wanderung wird er von berittenen Gorillas eingefangen und eingesperrt: Hestons herrlich hysterischer Mimik zufolge schockiert es seine Figur genauso wie das Publikum, sich auf einem Planeten wiederzufinden, auf dem hochzivilisierte Affen die wenigen wild lebenden Menschen jagen und zu Versuchsobjekten degradieren.

Den größten Coup sparte sich Drehbuchautor Rod Serling, Schöpfer der Kult-Fernsehserie „The Twilight Zone“, allerdings für den Schluss auf: Als Heston am Strand versucht, den Affen zu entkommen, bricht er plötzlich fluchend, schreiend, winselnd in der Brandung zusammen. Die finale Kamerafahrt offenbart dann auch dem Publikum das schockierende Bild der im Sand versunkenen Freiheitsstatue.

Die provokante Fantasie, dass das Evolutionsroulette nur an einer anderen Stelle stehen bleiben hätte müssen, und der Affe wäre heute dem Menschen überlegen, war aber noch lange nicht alles, was dem Kino zum Verhältnis zwischen dem Primitiven und dem Zivilisierten eingefallen ist. 1975 sorgte der polnische Regie-Renegat Walerian Borowczyk mit seiner erotischen Fabel „La bête“ für einen Skandal: Eine junge Frau begegnet in ihren Träumen einem primatenähnlichen Biest, das mehrfach auf sie ejakuliert. Borowczyk schließt in seinem Film die menschliche Sexualität mit dem Primitiven zusammen, allerdings nicht als Albtraum, sondern als Vision von einer Befreiung aus den Zwängen der menschlichen Gesellschaft. Während die Mainstream-Kultur Primaten anthropomorphisiert und sie etwa dabei filmt, wie sie mit Menschen ins Kino gehen, graben viele Filme nach drastischeren Fantasien zum Verhältnis zwischen Mensch und Affe.


Die Rache der Kreatur.
In „Link, der Butler“ (1986) holt etwa ein Orang-Utan (der allerdings von einem Schimpansen dargestellt wird) nach 45-jähriger „Karriere“ als Hausdiener eines Wissenschaftlers kurz vor seiner Einschläferung zum Racheakt aus. Und der profunde Humanist George A. Romero stellt in seinem Thriller „Der Affe im Menschen“ (1988) einem querschnittsgelähmten Sportler einen Primaten zur Seite, der sich schließlich aufgrund von Eifersucht und Neid zum Mehrfachmörder entwickelt.

Der Affe im Kino ist ein Sinnbild für das Primitive im Menschen. Er agiert jene sexuellen und gewalttätigen Triebe aus, die bei uns begraben liegen unter Tonnen von Zivilisationsschminke. Er ist Monstrum und Erlöser gleichermaßen. Erst, wenn man ihm tief in die Augen schaut, weiß man, dass es um einen selbst geht, dass man in einen Spiegel blickt. Wie auch Charlton Heston erkennen muss, dass der „Planet der Affen“ nicht irgendwo in der Weite des Weltalls liegt, sondern er ihn gar nie verlassen hat. Er kannte ihn nur unter einem anderen Namen: Erde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2014)

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