Wie Träume – vom Fliegen, vom Kino – sterben

Hayao Miyazaki
Hayao Miyazaki(c) EPA
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Hayao Miyazakis letzter Film „Wie der Wind sich hebt“ ist zugleich der letzte abendfüllende Film des japanischen Animationsgiganten Studio Ghible. Er ist eines der essenziellen Kinoerlebnisse des Jahres.

Es ist das Ende einer Ära. Und erneutes Zeichen dafür, dass sich das Gegenwartskino in der schwerwiegendsten Umbruchsphase seit der Einführung des Farbfilms befindet. Der japanische Animationsgigant Studio Ghibli hat vor wenigen Wochen bekannt gegeben, dass man keine abendfüllenden Spielfilme mehr produzieren werde, zumindest nicht in dem unabhängigen, autonomen Modus, der es den Gründern und Schlüsselregisseuren des Unternehmens, Hayao Miyazaki und Isao Takahata ermöglicht hat, ihre Animes abseits einer Verwertungslogik umzusetzen.

Was dafür den Ausschlag gegeben hat, darüber wird spekuliert: dass Takahatas jüngster Film „Die Legende von Prinzessin Kaguya“ in Japan schlecht gelaufen ist, kann eine Rolle gespielt haben. Vor allem liegt es aber wohl daran, dass die Kunst der handgezeichneten Animation als ein Artefakt aus einer anderen Filmweltordnung gilt: Sie ist langwierig, aufwändig, teuer und kann kommerziell mit den Digitalanimationsangeboten nicht mithalten. Dass das weithin verehrte Studio Ghibli jetzt seine Langfilmproduktion einstellen musste, ist schlagender Beweis dafür, dass das Kino längst wirtschaftlich und nicht mehr künstlerisch organisiert und definiert wird.

Jetzt also muss Totoro, Hauptfigur des berühmtesten Ghibli-Films „Mein Nachbar Totoro“ und entzückendes Maskottchen des Studios, ein paar fette Tränen vergießen. Und man selbst hat auch feuchte Augen, wenn man mit der überwältigenden Schönheit und Weisheit von Hayao Miyazakis letztem Film, „Wie der Wind sich hebt“, konfrontiert wird. Ohne Zweifel eines der essenziellen Kinoerlebnisse dieses Jahres – und das nicht zuletzt auch aufgrund der fantastischen Musik von Joe Hisashi –, es erzählt die Geschichte von Jirō. Schon als kleiner Junge wünscht dieser sich nichts sehnlicher, als Pilot zu werden. Träume existieren in „Wie der Wind sich hebt“ nicht getrennt von der Wirklichkeit, sondern interagieren mit ihr – ein traditionelles dramaturgisches Element bei Miyazaki. Im Schlaf trifft Jirō mehrfach auf Giovanni Battista Caproni, einen legendären Luftfahrtingenieur aus Italien. Er ermuntert den Brille tragenden Buben, Flugzeuge zu entwerfen anstatt sie pilotieren zu wollen.

Albtraum: zerschmetterte Städte

Beide Figuren basieren auf realen Menschen: Jirō Hiroishi war einer der zentralen Flugzeugkonstrukteure des Ersten Weltkriegs. Aber er war auch ein Mann, der, nachdem er mit der zerstörenden Wirkung seiner Entwürfe konfrontiert wurde, in eine schwere Sinnkrise stürzte: „Der Eindruck der zerschmetterten Stadt und der demolierten Fabriken wird mich nicht mehr verlassen“, notierte er 1944 in seinem Tagebuch.

„Wie der Wind sich hebt“ ist ein außergewöhnliches Werk für Miyazaki: Im Gegensatz zu seinen berühmtesten Filmen, die in einem Fantasiereich angesiedelt sind, spielt „Wie der Wind sich hebt“ erkennbar in der wirklichen Welt und ist erstaunlich präzise darin, Japan im frühen zwanzigsten Jahrhundert darzustellen. Das Große Kantō-Erdbeben im Jahr 1923, bei dem Jirō seine spätere Lebensliebe Naoko rettet, ist eine der aufwändigsten und besten handgezeichneten Animationssequenzen überhaupt: Ein unheimliches Grollen kündigt die Katastrophe an, die sich dann wellenförmig ausbreitet und nichts als Verwüstung zurücklässt. Als Jirō als junger Erwachsener von seinem Arbeitgeber Mitsubishi auf Forschungsreise nach Deutschland geschickt wird, beobachtet er dort eine Razzia der Gestapo – und ahnt bereits, dass es vor allem Kriegsflugzeuge sein werden, die er konstruieren soll. Das Leitthema seines Films arbeitet Miyazaki sanft heraus und lässt es nie zur bloßen Botschaft verkommen: Aber natürlich geht es darum, wie der Mensch das essenziell Befreiende am Fliegen unterdrückt und die wunderbaren Maschinen vor allem zur Vernichtung und Zerstörung einsetzt.

Und es geht auch darum, wie der Traum eines Jungen in einer solchen Welt überleben kann. Damit schließt „Wie der Wind sich hebt“ wieder an die anderen Miyazaki-Erzählungen an, von „Das Schloss im Himmel“ bis „Prinzessin Mononoke“. Im Kern tragen alle die ganzheitliche Utopie vom fried- und respektvollen Zusammenleben von Mensch und Natur: Auch der Animationsstil ist geprägt von einer pantheistischen Weltsicht. Miyazaki lässt Millionen Grashalme im Wind tanzen, zeigt die Kräuselung, die sich auf der Wasseroberfläche ausbreitet, sobald eine Bö darauf trifft, ist ganz verzaubert vom Himmel, den Wolken und den Flugzeugen, die sich dort oben anmutig bewegen.

„Das kommt nicht wieder“

Sich vorzustellen, dass „Wie der Wind sich hebt“ nicht nur der letzte Kinofilm von Hayao Miyazaki ist, sondern auch noch eine der finalen Ghibli-Produktionen, stimmt melancholisch. Eben weil man weiß, dass damit eine Ära zu Ende geht. Eine deutsche Figur in „Wie der Wind sich hebt“ singt irgendwann ausgelassen den Lilian-Harvey-Klassiker „Das gibt's nur einmal. Das kommt nicht wieder“. Und das ist im Fall von Studio Ghibli eine traurige Wahrheit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2014)

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