"Risse im Beton": Der Boden der Wiener Tatsachen

Murathan Muslu in ''Risse im Beton''
Murathan Muslu in ''Risse im Beton''(c) filmladen
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Mit seinem zweiten Langspielfilm "Risse im Beton" liefert Umut Dag ein kraftvolles Sozialdrama ab, das Facetten von Wien zeigt, die noch nie auf der Leinwand zu sehen waren.

Dass er vom Beschönigen knallharter Realitäten nicht allzu viel hält, bewies Regisseur Umut Dag schon bei seinem von Kritikern hochgelobten und international erfolgreichen Debüt „Kuma – Zweitfrau“: Darin widmete sich der Wiener mit kurdischen Wurzeln in einer Art Kammerspiel dem Schicksal zweier türkischer Frauen inmitten einer zerbrechlichen, von konservativen Werten geprägten Familienstruktur. Auch in seinem zweiten abendfüllenden Spielfilm „Risse im Beton“ (ab 19.September im Kino) gibt er schonungslos Einblick in die brutale Welt kriminalitätsgefährdeter Wiener Jugendlicher mit ausländischen Wurzeln.

Dabei will das vielschichtige Beziehungsdrama aber weder eine dokumentarische Milieustudie sein noch Zündstoff für demografische Diskussionen liefern, sondern mit wirklichkeitsnaher Erzählweise inklusive der nötigen fiktionalen Zuspitzung fesseln und unterhalten – ein Konzept, das voll und ganz aufgeht.

Die Hintergründe der beiden Hauptfiguren rollt der Film in zwei parallel montierten Geschichten auf, die in ausgeblichenen Farben und fast ohne Tageslicht inszeniert werden. Ertan (der „Tatort“-erprobte Murathan Muslu in einer durchbrechenden Performance) läuft – „wie ein Vollidiot“ – Nacht für Nacht durch die Straßen Wiens. Zehn Jahre lang saß er wegen Totschlags und Drogenbesitzes im Gefängnis. Wieder in Freiheit ist er ein gebrochener Mann – gezeichnet von der Haft und schlaflos ob der eigenen Zukunftsperspektive. „Zehn Jahre da drin verändern dich“, sagt er in einer der stärksten Szenen des Films.

Er will raus aus dem kriminellen Sumpf, in dem sein alter Kumpel Yilmaz noch immer steckt. Dieser will ihm klarmachen: „Du bist und bleibst Kanake. Du kriegst dich von der Straße, aber du kriegst die Straße nicht aus dir.“ Ein klischeebehafteter Satz, den sich der rehabilitierungswillige Ertan gleich zweimal anhören muss.

Drogen, Musik und die erste Liebe

Einer von Yilmaz' Schergen ist Mikail (der tschetschenische Laiendarsteller Alechan Tagaev). Der 15-Jährige hat die Schule abgebrochen, bandelt gerade mit seiner ersten Liebe an, verkauft in Clubs Drogen, um sein eigenes Rap-Mixtape zu finanzieren, und beschimpft seine Mutter aufs Übelste – gleichzeitig steckt er ihr aber Geld ins Portemonnaie, während sie schläft.

Auf der Baustelle seines Jugendklubs mit Tonstudio lernt er Ertan kennen, der unvermittelt ein besonderes Interesse an ihm zeigt und nichts unversucht lässt, ihn vor jenem Weg zu bewahren, der ihm selbst jede Hoffnung genommen hat. In welchem Verhältnis sie zueinander stehen, ahnt man als Zuseher rasch – dem dramaturgischen Aufbau tut dies aber keinen Abbruch.

Beschimpfungen als Kommunikation

Die Sprache, die in diesem Milieu gesprochen wird, ist dabei vielleicht das Schockierendste und gleichzeitig Faszinierendste an „Risse im Beton“. Kaum eine Aussage, die nicht immer auch die allgegenwärtige latente Gewalt mittransportiert.

Kommuniziert wird fast ausschließlich über Beschimpfungen und Beleidigungen. Protagonisten, die sich einer anderen, gepflegteren Ausdrucksweise bedienen – etwa Ertans älterer Bruder, der nichts von ihm und seiner Vergangenheit wissen will, oder sein österreichischer Bewährungshelfer – wirken in diesem Mikrokosmos beinahe wie Fremdkörper.

Stereotypen liefert der Film dennoch nicht. Dafür sind die Charaktere, sogar die vordergründigen Bösewichte, zu differenziert angelegt. Sie alle machen „Risse im Beton“ kraftvoll genug, um bis zur letzten Minute spannend zu bleiben. Der Showdown am Ende ist brutal, irritierend und dadurch rundum stimmig. Eine weitere, beeindruckende Talentprobe des 32-jährigen Haneke-Schülers Umut Dag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2014)

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