"Jimmy's Hall": Im Tanzsaal der Freiheit

(c) Photograph: Joss Barratt
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Mit "Jimmy's Hall" erzählt Ken Loach stimmungsvoll vom Kampf für gesellschaftliche Freiräume im Irland der 1930er. Historisches Hintergrundwissen setzt er voraus.

Es beginnt mit dokumentarischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus dem New York der frühen Dreißigerjahre. Die Freiheitsstatue, Bauarbeiter auf dem Skelett eines Hochhauses, spielende Kinder, Tanzende auf der Straße. Aber auch: Arbeitslose mit Schildern, Massen von Verarmten, die um eine Mahlzeit anstehen – die USA in der Great Depression. Mit dem Wechsel zur farbigen Spielfilmhandlung erfolgt ein Wechsel des Schauplatzes: Durch grüne Hügel schlängelt sich ein Weg, auf dem ein Pferdewagen daherrumpelt. Ein Mann – Jimmy Gralton – kehrt nach zehn Jahren aus den USA in seine Heimat in der irischen Grafschaft Leitrim zurück. An einem verwahrlosten blauen Gebäude vorbei geht es zu seinem kleinen Elternhaus.

Der britische Regisseur Ken Loach knüpft mit „Jimmy's Hall“ zeitlich an „The Wind that Shakes the Barley“ an. Thematisierte dieser den Irischen Unabhängigkeitskrieg Anfang der 1920er-Jahre, beginnt „Jimmy's Hall“ elf Jahre später. Der Bürgerkrieg, der 1922 begann und mit einem Sieg der von Großbritannien unterstützten Seite endete, liegt schon weit zurück, prägt die Gesellschaft aber immer noch. Nach einem Regierungswechsel wird auf friedlichere Zeiten gehofft, als der „vom Leben und der Zeit Jimmy Graltons inspirierte“ Film, wie es im Insert heißt, 1932 einsetzt.

Ein Tanzsaal als Gemeinschaftsprojekt

Warum Jimmys Rückkehr sowohl mit großer Freude als auch mit Argwohn und Angst aufgenommen wird, erschließt sich bald: Das verwahrloste blaue Gebäude ist Jimmys alter Tanzsaal, den er und seine Freunde nach dem Unabhängigkeitskrieg erbauten. Benannt nach Patrick Pearse und James Connolly, den Anführern des Osteraufstands, der 1916 die Unabhängigkeit Irlands erzwingen sollte, fanden in der Hall Tanzkurse und Tanzabende, Box-, Tischler-, und Musikstunden, Gesangs-, Mal- und Literaturklassen statt. Als Gemeinschaftsprojekt erfreute sich der Saal, in dem die Menschen sich gegenseitig unterrichteten, großer Beliebtheit, wurde jedoch insbesondere von der katholischen Kirche als Übel angesehen. Warum der charismatische Kommunist Jimmy Irland 1922 verlassen musste, zeigt Loach ebenfalls in einer Rückblende: Als Wortführer setzte er sich für die Rechte armer Pächter gegen Grundbesitzer ein, woraufhin seine Verhaftung drohte.

Insbesondere im ersten Viertel des Films schadet es nicht, Hintergrundwissen der irischen Geschichte zu besitzen, um sich hundertprozentig zurechtzufinden. Loach ist nicht daran gelegen, Unterricht zu geben: Namen fliegen in Gesprächen hin und her, die in der irischen Gesellschaft des Jahres 1932 wohl allen geläufig waren.

Nachdem der komplexe historische Rahmen in hohem Tempo aufgebaut wurde, schlägt „Jimmy's Hall“, der ausnahmslos mit kaum bekannten Schauspielern besetzt ist, ruhigere Töne an. Jimmy beschließt, die Hall wieder aufzumachen. Begeistert strömen alte Freunde sowie die Jugend der umliegenden Gemeinden herbei, um den Unterricht und die Tanzabende zu besuchen. Doch scheint die Geschichte sich zu wiederholen: Pater Sheridan schäumt vor Wut, die politischen Gegner Graltons, mittlerweile Faschisten, ebenso. Während Jimmy im Saal den aus den USA mitgebrachten Shim Sham lehrt, belauert der Pater die Hall-Besucher, um ihre Namen in der Kirche laut vorzulesen und sie als Antichristen anzuprangern.

Vorsichtig entwickelte Liebesgeschichte

Im Folgenden breitet Loach sowohl die in der Hall blühende Lebensfreude und Gemeinschaftsbildung, als auch den Machtkampf zwischen Kirche und linken Aktivisten aus. Flammende Reden gehen zwischen Pater Sheridan und Jimmy hin und her – nach der Premiere in Cannes wurde dem Film teilweise vorgeworfen, zu didaktisch zu sein –, im Kontrast dazu wird die Liebesgeschichte zwischen Jimmy und Oonagh sehr vorsichtig entwickelt.

Insgesamt zeichnet Loach die neuerlich drohende Niederprügelung der aufkeimenden Freiheit aber nicht als Tragödie oder emotional reißerische Anklage, sondern als stimmungsvolle und melancholische, doch auch hoffnungsfrohe Geschichte. Trotz der starken historischen Verankerung wird deutlich, dass es sich um ein von der konkreten Situation abhebbares Plädoyer gegen Kleingeistigkeit, Unterdrückung und Machtmissbrauch handelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2014)

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