"Under the Skin": Zu experimentell fürs Kino?

Under the skin
Under the skin(c) Senator
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Scarlett Johansson als Alien auf Männerjagd: Ein mysteriöser Film wie „Under the Skin“ lässt sich schwer vermarkten. So wollte der Verleih ihn erst nur auf DVD herausbringen.

Wie klingt es wohl, wenn ein Alien von einem fremden Planeten auf die Erde kommt, um hier die Gestalt einer attraktiven Frau anzunehmen? In Jonathan Glazers „Under the Skin“ klingt es wie ein Symphonieorchester, rückwärts in hohem Tempo abgespielt, mit unverständlichen Silben aus einer Frauenkehle dekoriert. Dazu sieht man einen weißen Kreis vor schwarzem Hintergrund, langsam wird daraus ein Ring, vor den Weiten des Weltalls schwebend, dann ein Auge, eine pulsierende Pupille, ein erstes Zeichen des Menschseins.

Laura (Scarlett Johansson) ist gelandet. In einem hochglanzweißen Raum zieht sie eine reglose Frau aus, schlüpft in ihre Kleider, nun ist sie bereit für ihre Mission. Mit schwarzen Haaren und rotem Lippenstift fährt sie im Lieferwagen durch verregnete schottische Straßen, spricht Männer an, fragt nach dem Weg, nach ihren Plänen, ihrem Befinden. Wer anbeißt, wird von ihr auf den Beifahrersitz und dann in ihr Haus gelockt. Hinter der heruntergekommenen Fassade verbirgt sich nichts als Schwarz. Man wirft sich laszive Blicke zu, zieht sich aus. Und bevor die sexuell aufgewühlten Männer wissen, wie ihnen geschieht, gehen sie schon im dickflüssigen See unter, in den sich der spiegelnde Boden unter ihren Füßen verwandelt hat.

Gefilmt mit versteckter Kamera

Nach diesem Schema lockt Laura weitere einsame Seelen in ihre Falle, findet ihre Opfer auf Straßen, im Einkaufszentrum, im Nachtclub. Für diese Szenen wählte der britische Regisseur Glazer einen speziellen Zugang: Johansson schlenderte – dank schwarzer Haare unerkannt – tatsächlich durch die Schauplätze, gefilmt wurde mit versteckter Kamera. Für die Szenen im Lieferwagen entwickelte das Filmteam ein eigenes Kamerasystem, das die Schauspielerin wie auch ihre Umgebung gleichzeitig von verschiedenen Perspektiven aufnahm. Johansson wusste nicht, welche Kamera gerade lief, wenn sie durch die Straßen kurvte und Passanten ansprach. Die Männer, die mit der geheimnisvollen Schönheit interagierten, erfuhren erst im Nachhinein, dass sie gefilmt worden waren.

Was mit den versunkenen Männern passiert, erfährt auch der Seher nicht. Wo Laura herkommt, was in ihr vorgeht, warum sie die Männer entführt – das alles bleibt nebulös. Ihr Körper ist eine Hülle. Man ahnt, dass sich hinter dem hübschen Gesicht, das meist apathisch in die triste Gegend blickt, mehr verbirgt. Aber was? Einsamkeit? Sehnsucht? Verlangen? Gar ein Funken Menschlichkeit? Mit mystischen Bildern verstärkt Glazer das verstörende Gefühl der Ahnungslosigkeit. Minutenlange Sequenzen zeigen Laura nachts im Auto, wie ihr Gesicht vom Schein der vorbeirauschenden Straßenlaternen abwechselnd in Licht und Dunkel gehüllt wird. Düstere Wohnviertel, vernebelte Wälder, psychedelische Bilder fließen ineinander, dazu hört man verstimmte Geigen und ein langsam lauter werdendes industrielles Klopfen. Es ist eisig, aufreibend, beklemmend.

Passt in keine Schublade

Nachdem der Film 2013 bei Festivals (etwa in Venedig oder Linz) gezeigt und von Kritikern recht unterschiedlich aufgenommen wurde, entschloss sich der finanziell angeschlagene deutsche Filmverleih Senator, die Kinophase zu überspringen und „Under the Skin“ gleich als DVD und Blu-ray herauszubringen. Er sei „ein Film für Liebhaber der Filmkunst, aber weder typischer Mainstream noch typisches Arthaus“, erklärte der Verleih. Er passt also in keine Kategorie. Eine Kinokampagne hätte ein sechsstelliges Vermarktungsbudget verlangt – für den Verleih wohl ein zu großes finanzielles Risiko, zumal der Film in den USA nur 2,6 Millionen Dollar eingespielt hat.

Der deutsche Filmenthusiast Sebastian Selig, der den Film in Frankreich gesehen hatte, wollte sich damit nicht zufrieden geben. Er beschuldigte Senator, die wirklich aufregenden Filme dem Kinopublikum vorzuenthalten und stattdessen „auf DVD zu verramschen“. Auf seiner Facebook-Seite „,Under the Skin‘ im dt. Kino, jetzt“ machen Fans für einen Kinostart mobil.

Der Aufruf hatte Erfolg: Das kleine Zebra-Kino in Konstanz kümmerte sich selbstständig um eine Kopie des Films, richtete sogar auf eigene Kosten eine Website ein, um den Film zu bewerben. Nach und nach fanden sich auch andere Kinos, die den Film in ihr Programm aufnahmen. In Wien läuft „Under the Skin“ ab heute im Gartenbaukino. Ab 10.Oktober ist er auf DVD erhältlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2014)

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