Katastrophenfilm: Wenn keiner der Natur entkommt

(c) Centfox
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Unerklärliche Massenselbstmorde in den USA: „The Happening“, eine ungelenke Schauermär von „Sixth Sense“-Regisseur M. Night Shyamalan. Im Kino.

Es kam wie ein Fieber über Amerika. Eines idyllischen Morgens bleiben die Leute im Central Park wie auf ein Zeichen stehen. Ein paar plappern noch wirres Zeug, dann legt sich unheimliche Stille über New York. Man hört nur den Wind. Eine Frau greift zur Haarnadel, um sie sich in den Hals zu rammen. Der zielstrebige Massenselbstmord hat begonnen.

Bauarbeiter springen vom Dach, später legt sich einer seelenruhig vor den Rasentraktor. Die unerklärliche Suizidwelle erfasst den ganzen Nordosten der USA, schnell ist Terrorismusverdacht zur Hand: Schaltet ein Nervengift den Selbsterhaltunsgtrieb aus? Eine andere Theorie hat der von Mark Wahlberg gespielte Naturkundelehrer, der anfangs gleich den Schülern das Mysterium der verschwindenden Bienenpopulation näher brachte: Die Natur schlägt zurück.

Die Pflanzen säen den Tod. Der Wind bringt ihn. Unsichtbar und unausweichlich.

Was M. Night Shyalamans apokyalyptischer Horrorfilm The Happening erzählt – die Flucht des verunsicherten Lehrers und seiner Frau (Zooey Deschanel) aus der Stadt in eine menschenleere, doch von vielen Leichen gesäumte und Windböen durchwehte Provinz, – ist also ein absurdes Manöver. So absurd wie viele der Freitodesarten, und Dialoge. (In der deutschen Synchronfassung haben sie fast schon wieder anachronistischen Charme: „Also Kumpel, Naturwissenschaft sollte dich echt interessieren“, predigt Wahlbergs Pädagoge einem Schüler.)

Ist der Katastrophenfilm The Happening mit seiner ungelenken Mischung aus dräuendem Suspense und (teils unfreiwilliger) Komik also die neue Katastrophe in der Karriere des vor kurzem noch als Wunderkind gefeierten Regisseurs Shyamalan, wie einige (US-)Kritiker prompt behaupteten?

Kein Glück für den „neuen Spielberg“

Der Welterfolg des Mystery-Krimis The Sixth Sense hatte dem Filmemacher ungewohnte Freiheiten beschert. Nach der Comic-Fantasie Unbreakable hievte ihn Newsweek aufs Titelblatt: „Der neue Spielberg!“ Aber seine zunehmend esoterischen Schauermärchen Signs, The Village und The Lady in The Water stießen auf immer weniger Gegenliebe.

Über dieses auf einer Gutenachtgeschichte für seine Kinder basierende Märchen von der bedrohten Wassernixe zerkrachte sich Shyamalan mit seinem Stammstudio Disney – und schrieb darüber ein beleidigtes Buch. So wurde er in gewissen Hollywoodkreisen zur Persona non grata, doch noch macht er Filme zu seinen Bedingungen.

The Happening ist also ein echter Autorenfilm, gerade in all seinen Schwächen die Quintessenz von Shyamalans Kino. Als einer der letzten komponiert er Spannungsbögen und unheimliche Szenerien ganz visuell. Er sieht sich nicht als neuer Spielberg, sondern als neuer Hitchcock: Shyamalan gönnt sich auch Gastauftritte in seinen Filmen (diesmal nur als Telefonstimme). Wenn der aufkommende Wind übers Gras streicht, ist Hitchcocks tödliche Naturgewalt aus Die Vögel quasi zur Unsichtbarkeit radikalisiert.

Doch Shyamalan bläht auch den Stoff billiger Genrefilme bedeutungsschwanger und krude auf, oft bis zur Lächerlichkeit. Aufgesetzt wirkt das Ausbuchstabieren traditioneller Themen apokalyptischer B-Pictures, etwa nationale und ökologische Allegorien. (The Happening ist als zeitgemäße Endzeitfantasie interessanter, aber letztlich ebenso unbefriedigend wie unlängst der verwandte Großproduktionskompromiss I Am Legend.)

Konzeptuell rührend, aber erbärmlich ausgeführt ist die kontrapunktische Handlung von Eifersucht und Liebe des zentralen Paars. Und vollends sprachlos ist man etwa angesichts einer Szene, in der Wahlberg todernst einer Pflanze gut zuredet, auf dass sie ihn verschone – und dann merkt, dass sie aus Gummi ist. Aber es ist auch die Art von merkwürdig idiotischer Ironie, wie sie sich nur Shyamalan ausdenken kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2008)

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