Bernd Eichinger: „Wir leben in Zeiten des Terrors“

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EWarum „Der Baader Meinhof Komplex“ modern und gefährlich erzählt ist und wie seine Schwester Ulrike Meinhof ähnelte.

Die Presse: Warum „Der Baader Meinhof Komplex“ jetzt?

Bernd Eichinger: Das hat nichts mit einem Jubiläum zu tun, ich habe keinen Zeitplan: Meine Filme sind sehr persönlich, auch wenn man ihnen das nicht immer ansieht. „Der Untergang“ zum Beispiel brachte für mich etwas zum Abschluss, ich gehöre zur ersten Nachkriegsgeneration: Die den Krieg durchlebt hatten, blieben völlig stumm, total traumatisiert. So erfuhren wir über das Trauma nichts. Daher beschäftigte ich mich lange mit diesem Thema, ohne allerdings an einen Film zu denken. Erst Joachim C.Fests Buch über die letzten zwölf Tage des Deutschen Reichs – nicht die letzten zwölf Tage Hitlers! – war Stein des Anstoßes. Als ich daran schrieb, erkannte ich: Die Umbruchzeit der späten 60er, das war nicht einfach so passiert, weil die jüngere Generation gegen die ältere aufbegehrt. Das war ein Generationskrieg von einer Drastik wie nie zuvor oder danach. Weil die Aufarbeitung des Traumas unserer Elterngeneration nie passierte. Ohne die Nazizeit wäre die RAF nie entstanden.

Sie wollten schon damals einen Film über Ulrike Meinhof machen?

Eichinger: Ja, um 1978. Ich hatte ja alles bewusst miterlebt: die Studentenbewegung, die Bildung der RAF, den Terrorismus. Das beschäftigte mich sehr, auch da ich eine Schwester hatte, die sehr links war, sehr militant und kommunistisch. Sie hatte zwei Kinder wie Meinhof, einen ähnlichen Werdegang. Obwohl sie eine ganz milde, zerbrechliche Person war, zeigte sie unglaubliche Bereitschaft, terroristisch tätig zu werden. Das faszinierte mich. Ich begann zu recherchieren, hatte aber nicht die Erfahrung, so etwas zu schreiben, ließ das Sujet fallen. Erst bei „Der Untergang“ merkte ich, wie es im Hinterkopf immer weitergegangen war.

Sie haben sowohl „Der Untergang“ wie auch „Der Baader Meinhof Komplex“ selbst geschrieben, bemühen dabei eine für Großproduktionen ungewöhnliche Dramaturgie.

Eichinger:Kinoerzählen funktioniert über die Identifikation mit Personen. Normal gibt es den Bösen und den Guten, daraus entsteht ein Konflikt, und den behandelt man dann. Nicht aber bei diesen Filmen: Da ging es mir mehr um den Strom der Ereignisse. Die Menschen bestimmen die Ereignisse zwar bis zu einem bestimmten Grad – aber dann werden sie, wie meist in der Geschichte, von den selbst inszenierten Ereignissen überrollt. Das gilt in „Der Baader Meinhof Komplex“ übrigens genauso für die Terroristen wie für die Staatsorgane.

Sie verzichten auf psychologische Erklärungen.

Eichinger: Bei Kintopp-Helden mag es funktionieren, aber bei Zeitgeschichte muss man in die Quellen gehen, einem Puzzle Gestalt geben. Die RAF-Mitglieder änderten sich auch im Lauf der erzählten Dekade, wurden von der Intensität ihrer Erfahrungen wohl völlig durcheinandergeschüttelt. Da reicht kein psychotherapeutischer Ansatz wie: Die Ensslin kam aus einem Pfarrershaus. 300.000 andere Mädels kamen auch aus einem Pfarrershaus und nahmen keine Knarre in die Hand! So einfach ist die Welt nicht zu erklären. Mein Ansatz ist faktisch: Nicht über das Psychoanalytische zu erzählen, ist modern, mutig, ja gefährlich. Weil das nicht die Art ist, wie man Filme über die RAF bisher machte.

Eine reine Aneinanderreihung von Fakten scheint aber wenig?

Eichinger: Das würde auch gar nicht funktionieren, die Kunst dabei ist, eine innere Logik zu etablieren. Der Film gibt manchen Leuten nicht, was sie wollen: Erklärungen. Ich weiß auch nicht, was für eine Person Ulrike Meinhof wirklich war, ich kann nur erzählen, was sie macht. Anfangs sagt sie: Ich könnte meine Kinder nie verlassen. Dann verlässt sie die Kinder nicht nur, sie würde sie sogar ins palästinensische Lager schicken, für immer weg! Da sie glaubte, die Revolution erfordere solche Opfer. So etwas versteht man nicht, auch wenn man es zu ergründen versucht. Ich kann nur schreiben: Sie hat es getan. Warum schmeißen gebildete Leute auf einmal Bomben? Damals wurde es als Krieg legitimiert: Die sind bewaffnet, wir sind bewaffnet. Doch der Fahrer im Kreuzfeuer dazwischen ist nicht bewaffnet! Das Problem hatte ich schon damals, ich war kein Revolutionsromantiker wie Uli Edel, der Che Guevara super fand. Ich hängte mir nie ein Che-Bild auf, ich fand das albern: nicht, was Che tat, sondern die Romantisierung dahinter. Doch die Leute sahen sich als Teil einer großen Weltrevolutionsbewegung. Absurd, heute wie damals, aber die Zeiten waren viel aufgeregter!

Heute hat man dafür das Gefühl, in einer entpolitisierten Zeit zu leben.

Eichinger: So einfach ist das nicht zu sagen, auch wenn sich die Jugend kaum noch für oder gegen etwas engagiert. Man hat das Wahlrecht, aber man scheint vergessen zu haben, dass man noch ganz andere Rechte hat. So gesehen ist es viel ruhiger geworden. Aber die Informationspolitik ist so schnell: Jeden Tag gibt es so viel zu sehen, dass man ein Gefühl der Ohnmacht hat. Warum soll ich mich für bedrohte Apfelbäume engagieren, wenn ich ständig höre, wie sich Leute in die Luft sprengen, in Afghanistan, im Irak abgeschlachtet werden? Weltweit herrscht eine Überfülle des Wahnsinns, Terrorismus ist wieder drauf und dran, die Politik zu ersetzen. Schon ein Gefühl von Déjà-vu: Jeder dreht an seiner Schraube, die einen an der Sicherheitsschraube, die anderen denken sich Attentate aus, auf die der Gegner nicht vorbereitet sein kann. Diese Entwicklung ist nicht im Sinne einer demokratischen Weltanschauung, da sie uns immer mehr Grundrechte raubt. Dieser Nebeneffekt wird nicht zu unterschätzen sein: Wir leben in Zeiten des Terrors, und das Problem wird nicht gelöst, indem die Polizei Terroristen festnimmt. Man muss den größeren politischen Zusammenhang sehen und da Lösungen finden. Wie zwischen Iren und Engländern: Solange das Problem politisch nicht gelöst ist, werden Bomben fliegen. Das hat Horst Herold in einem heute fast prophetisch anmutenden Interview schon damals gesagt.

ZUR PERSON

Bernd Eichinger (*1949, Neuburg an der Donau) ist deutscher Großproduzent u.a. der Filmerfolge „ChristianeF.“, „Der Name der Rose“, „Der Untergang“, „Das Parfum“. Sein „Der Baader Meinhof Komplex“ startet heute.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2008)

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