Dunkler Heldenkult: Superstar Vampir – Bush sei Dank?

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In den USA erobern rücksichtsvolle Blutsauger Fernsehen, Kino und die Herzen der weiblichen Teenager. Hat die Politik etwas falsch gemacht?

Kriege, Krisen, multiples politisches Versagen: Dem scheidenden US-Präsidenten wird dieser Tage so einiges vor- bzw. nachgeworfen. Und jetzt noch das: Ist George W. auch an der Rückkehr der Vampire schuld? Kann man Bush anlasten, dass Blutsauger in Film, TV und Bestsellerlisten drängen, dass zum Kinostart von „Twilight“ (s. u.) Teenager hysterisch „Bite me“ skandieren und der US-Sender HBO in „True Blood“ Untote als Sympathieträger zeigt? Nun... Man kann.

Und zwar, weil Vampirgeschichten nie bloß zum Gruseln da waren, sagt Rainer Maria Köppl, Professor am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaften und Wiens wohl einziger universitärer „Vampirforscher“. Vielmehr wurde das globalste und menschlichste aller Monster, das so zentrale Themen wie Sterblichkeit, Erotik und Erlösung verknüpft, immer gern als Metapher benutzt. Bei Vampirgeschichten“, so Köppl, „geht es nicht um Eskapismus – im Gegenteil.“ Was erklärt, warum seriöse US-Medien derzeit Fragen diskutieren, wie: Woher das Interesse am Vampir? Und: Wie sind die neuen Blutsauger zu verstehen – gesellschaftspolitisch?

Die erste Frage beantwortet Köppl kurz: Angst. Seit den für die Bush-Ära prägenden 9/11-Terroranschlägen beschäftigen Furcht und der Umgang mit ihr die US-Populärkultur. Beides lässt sich anhand von Vampiren durchdeklinieren, und zwar ohne – wichtig in den USA – an ethnische Gruppen anzustreifen. In „True Blood“ wird eine Welt kreiert, in der Menschen und Vampire dank synthetischen Bluts koexistieren. Die HBO-Serie, die von den „Six Feet Under“-Erfindern stammt und die Köppl als „eine Art US-Kaisermühlen-Blues, wenn ihn Quentin Tarantino drehen würde“ beschreibt, inszeniert Vampire als „Menschen wie du und ich“. Sie kämpfen um ihr Wahlrecht, sind gut, böse, aber doch stets anders. „Da werden Fragen verhandelt, wie: Wie behandle ich eine potenziell gefährliche Minderheit? Wie weit geht persönliche Freiheit, wie weit Integration?“, so Köppl. „Jeder, der einen Rest Intelligenz hat, kapiert, worum es sich bei der Serie in Wahrheit dreht.“

Der Vampir als der „bessere Mensch“

Für Frage zwei muss man sich die Entwicklung der Vampirfigur ansehen. Vom abstoßenden Monster des Aberglaubens des 18.Jahrhunderts transzendierte der Vampir nach dem Verbot abergläubischer Praktiken (Leichen pfählen) im 19. Jh. zur literarischen Figur: Polidoris „Vampyre“ oder Bram Stokers „Dracula“ sind adelig, dekadent – Blutsauger auch im metaphorischen Sinn. Hollywood machte den Vampir (nicht immer, aber oft) sexy, attraktiv. Darin unterscheiden sich Edward aus „Twilight“ oder Sam aus „True Blood“ nicht von Béla Lugosi, der Liebesbriefe bekam. Das Neue an den Neuen ist, dass sie sind wie wir: Sie haben Gefühle, ein Gewissen, hadern mit dem Schicksal. Gleichzeitig sind sie besser: Nebst ewiger Jugend, Erotik, Schönheit, Superkräften verfügen sie über große Selbstkontrolle, überwinden ihre Gier nach Menschenblut und ernähren sich (zumindest die guten) von Tieren oder künstlichem Ersatz. Das Monster, ein Held, Ideal gar? Tatsächlich, so Köppl, kann man den neuen Vampir als Selbstgeißelung lesen. „Die Vampire sind die Zivilisiertesten. Denkt man sie weg, bleiben zerrüttete Familien, dumpfe Menschen.“ Wenn man so will: Das Amerika, für das sich US-Künstler in den vergangenen Jahren so gerne im Ausland entschuldigten.

Wobei man im Rausch der Interpretation ökonomische Nebengeräusche nicht ausblenden soll. So ermöglicht die Vermenschlichung der Vampire echte Liebesgeschichten – ganz so, wie sie im zunehmend Teenager(mädchen)-affinen Markt gut funktionieren. Auch die Debatte, ob die Mormonin und Autorin der „Twilight“-Saga, Stephenie Meyer, mit ihrem braven (manche sagen: faden) Vampir Edward, der etwas gegen vorehelichen Sex und Fahren ohne Gurt hat, eine neokonservative Strömung beschreibt, könnte man banal auflösen: nämlich als dramaturgischen Kniff. Denn ohne Zurückhaltung, sagt Köppl, verlaufen Mensch-Vampir-Begegnungen eher kurz.

Apropos kurz: Köppl rechnet bereits mit dem Abflauen des Interesses: „Unter Obama wird das Bedürfnis nicht so groß sein.“ So dürfte es knapp werden für das, was Köppl vermisst: einen echten weiblichen Vampirstar. Denn in der Hauptrolle ist Blutsaugen auch 2009 Männersache. Daran hätte wohl auch eine Präsidentin Clinton nichts geändert.

Im „Presse“-Schaufenster: Vampire & Finanzkrise

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2009)

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