Thomas Heise: „Ich gehörte in der DDR nicht zur Filmfamilie“

Blick hinter die Kulissen von DDR-Institutionen: „Volkspolizei“, 1985.
Blick hinter die Kulissen von DDR-Institutionen: „Volkspolizei“, 1985.(c) PROGRESS Film-Verleih
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Thomas Heises Filme sind eine ungewöhnliche Chronik des Lebens in und nach der DDR. Das Filmmuseum bringt bis 3. Dezember sein Gesamtwerk. Mit der „Presse“ sprach er über sein Außenseitertum und die Wende.

Thomas Heise macht konkretes Kino. Seine Dokumentarfilme beschäftigen sich mit dem Stand der Dinge, ohne Umschweife. 1992 sorgte „Stau – Jetzt geht's los“ für eine deutschlandweite Kontroverse: Heise porträtierte jugendliche Neonazis aus dem ostdeutschen Städtchen Halle-Neustadt, und das immer auf Augenhöhe, ohne kritischen Off-Kommentar. Ebenso konsequent hatte er in den Achtzigerjahren das Leben in der DDR durchmessen.

Die Presse: Ihre erste Kurzdokumentation haben Sie 1980 mit „Wozu denn über diese Leute einen Film?“ übertitelt. Darin sprechen Sie mit zwei jungen Männern, die kleinkriminell sind und immer wieder Probleme mit der Polizei hatten.

Thomas Heise: Das war die Frage eines Dozenten an der Filmhochschule, auf der ich war. Der Film war unsere zweite publizistische Übung, so nannte sich das damals. Wir sollten der Nachwuchs werden für das gerade beginnende zweite DDR-Fernsehen. Solche Geschichten kamen dort natürlich nicht vor. Aus der Richtung kam dann auch die Frage, und ich habe sie als Titel genommen.

Ein guter Titel.

Ja, aber auf der anderen Seite hängt mir das jetzt immer an. Man hat dann einen Begriff, auf den man alles bringen kann. Man kommt in eine Kiste und liegt dann drin.

So ganz von ungefähr kommt die Zuschreibung aber nicht. Ihr Kino beschäftigt sich häufig mit Menschen, über die ansonst kaum erzählt wird.

Das hat sicher auch damit zu tun, dass ich selbst ein bisschen randständig bin. Ich habe in der DDR nicht zur Filmfamilie gehört. Ich habe mit den Leuten, die Fernsehen machen, die sich immer treffen und einander auf die Schulter klopfen, wenig zu tun. Ich bin kein Partymensch.

Das Außenseitertum war also auch ein wenig selbst gewählt?

Ja, das ist auch meistens interessanter als das Zentrum. Das Zentrum wird ja von den Rändern zermahlen und nicht aus sich heraus. Da kann man meist Entdeckungen machen, die man auf der großen Bühne nicht machen kann. Es hat in den letzten 40, 50 Jahren eine zunehmende Ausdifferenzierung in der Gesellschaft stattgefunden – die starke Durchmischung von verschiedenen sozialen Schichten, die es davor noch gab, löst sich immer weiter auf. Die Leute leben immer mehr in geschlossenen Blasen gleicher Gehaltsgruppen. Zwischen diesen Blasen gibt es kaum mehr eine Beziehung. Genau das führt dann zu dieser Wahrnehmung, dass eben nur mehr das, was sich innerhalb dieser Blase befindet, das Wichtige ist, und das andere hat mit uns nichts zu tun. Da geh ich eben dann dagegen, weil ich rausgehe und dort hingehe, wo ich eigentlich keine Ahnung habe. Weil ich dort was zu lernen und zu sehen habe.

War das Leben in diesen Blasen ein Grund dafür, dass Ihr Film „Stau – Jetzt geht's los“ über junge Neonazis in Ostdeutschland so kontrovers aufgenommen wurde?

Das war sicher ein Grund. Aus der Geschichte war das ja alles schon vorsortiert, man erwartete eigentlich die Bestätigung dieser Vorsortierung. Und das macht der Film nicht.

In Österreich gab es vor wenigen Monaten eine große Kontroverse um Ulrich Seidls „Im Keller“. Überlegen Sie häufiger, gewisse Szenen besser nicht in den Film zu nehmen, zum Schutz Ihrer Protagonisten?

Es ist im Grunde egal, ob es sich um einen Film über Neonazis handelt oder um eine Familiengeschichte. Das Problem ist immer, dass die Leute damit leben müssen, dass sie öffentlich werden – und das hat mitunter Folgen. Es ist immer mutig, sich auf einen Dokumentarfilm einzulassen. Das heißt im Grunde genommen: Hosen runterlassen. Manchmal sagen Leute, dass sie es machen wollen, aber darüber und darüber nicht sprechen wollen. Dann mach ich's nicht. Es ist ein Verhältnis von Maler und Modell. Das Modell hat nicht zu entscheiden, was der Maler malt. Es sei denn, das Modell bezahlt den Maler. Da das bei mir nicht so ist, muss man sich drauf einlassen. Das kläre ich am Anfang und mache in der Regel auch keine Verträge. Es muss eine Vertrauensbasis haben, sonst geht's gar nicht.

Filme wie „Das Haus“ und „Volkspolizei“, in denen Sie hinter die Kulissen von DDR-Institutionen blicken, konnten dann aber gar nicht gezeigt werden.

Das sind zwei Filme, die entstanden sind, nachdem ich aus der Filmhochschule raus bin. Ich bin auf eigenen Wunsch exmatrikuliert worden, weil ich dort nicht arbeiten konnte, keine Filme machen durfte. Es gab aber eine Stelle in Berlin, wo seitens des Staatlichen Filmarchivs Filmmaterial produziert wurde, das später für Filme verwendet werden sollte. Da hab ich vorgeschlagen, Verwaltung zu machen. Dort konnte man als Freiberufler arbeiten, auch wenn man kein Studium abgeschlossen hatte, im Gegensatz zur Defa. Ich durfte bei der Abnahme der Filme nicht dabei sein, habe aber die Protokolle gelesen. Da wurde gesagt: Können wir wegschmeißen. Wurde aber nicht weggeschmissen, weil es ja Planmaterial war. Sonst hätten sie den Plan nicht erfüllt, und das wäre dann noch schwieriger. Die Filme wurden dann auf Eis gelagert und sind versteckt worden. Dieses Verstecken hat gesichert, dass sie später wieder aus dem Versteck herausgeholt werden konnten.

Also hat das System für Sie gearbeitet.

Das finde ich interessant, denn das wäre in einer Demokratie nicht passiert. Dort wäre das Material vernichtet worden.

Ihre Filme sind eine außergewöhnliche Chronik vom deutschen Leben in und nach der DDR. Wie haben Sie die Feiern zum 25-Jahr-Jubiläum des Mauerfalls erlebt?

Im Grunde genommen ist das die Verwurstung von Geschichte in Kitsch. Das hat auch etwas damit zu tun, das Hinterfragen von Vorgängen abzuschaffen. Alles wird nur mehr in so Begriffe geräumt. Das fängt schon an mit dem Wort „Wende“. Im Englischen bezeichnet es das Datum des Mauerfalls, den 9.November. Die Wende ist aber ein Vorgang, der einen ganzen Zeitraum umfasst: von der Wahl Wojtylas zum Papst – Polen war das schwächste Glied, da muss man anfangen – bis zur Auflösung der Treuhand 1995, als alles verteilt war. Man kriegt so eine komische Märchenhaltung dazu. Es ging ja auch um eine Zukunft dabei, und diese Zukunft darf es nicht geben. Wenn ein Volk auf die Straße geht und verkündet, was es sich denkt, und nicht das macht, was Politiker welcher Couleur auch immer sich denken, dann wird's ja gefährlich. Es soll keine Veränderung geben.

ZUR PERSON

Thomas Heise wurde 1955 in Ostberlin als Sohn des von Wolf Biermann sehr geschätzten Philosophieprofessors Wolfgang Heise geboren. Er absolvierte eine Lehre als Drucker, begann 1978 ein Regiestudium. In der DDR wurden seine Dokumentarfilme nicht gezeigt. Heise ist seit 2013 Professor an der Akademie der Bildenden Künste, Wien.

[ Österreichisches Filmmuseum]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2014)

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