Film: Letzter Rauch auf Italiens Leinwänden?

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Italiens Regisseure sehen ihre künstlerische Freiheit durch ein Gesetzesvorhaben beschnitten, das die Zigarette von der Leinwand verbannen will. Jahrzehntelang als Stilmittel geschätzt, muss sie weltweit Gesundheitsvorschriften weichen.

Ein in die Jahre gekommener Playboy blickt schwermütig hinter die bröckelnde Fassade der römischen Gesellschaft. Nebenher und überhaupt sucht er nach der großen, verlorenen Schönheit seines Lebens. Ständiger Begleiter und Requisit auf dem späten Selbstfindungstrip: die Zigarette, lässig im Mundwinkel hängend wie zu Belmondos besten Zeiten. Regisseur Paolo Sorrentino setzte in „La grande bellezza“ („Die große Schönheit“, 2013) der ewigen Stadt Rom ein Denkmal. Und dem Rauchen. Der Film ist auf weiten Strecken eine Hommage an die Zigarette. Sie ist Sinnbild des Dolce-far-niente, der unerträglichen Leichtigkeit des italienischen Seins.



Da überrascht es nicht, dass Oscar-Preisträger Sorrentino unter den ersten italienischen Filmemachern ist, die gegen ihre Verbannung aus dem italienischen Film auf die Barrikaden steigen. Man verstehe vollkommen, dass das 2005 verschärfte Tabakgesetz bald auch Autos mit Kindern an Bord, Parks und Strände erfassen soll – das gaben neben Sorrentino bekannte Regisseure wie Mario Martone, Gabriele Muccino und Paolo Virzì einmütig in ihrer vergangene Woche in der Tageszeitung „La Repubblica“ veröffentlichten Streitschrift zu Protokoll.

Aber warum Kino und Fernsehen – Orte, an denen nicht das Gesundheitsministerium, sondern die künstlerische Freiheit regieren sollte? „Welchen Sinn hat es, eine fiktive Figur in ihrem Handeln einzuschränken?“, fragen sie. Und antworten gleich selbst, es könne nicht Aufgabe eines Films sein, seine Zuschauer zu erziehen. Das Vorhaben von Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin sei eine Entmündigung des Volkes und eine Beschneidung der unbedingt zu wahrenden künstlerischen Freiheit.

Die Zigarette: Stilmittel und Kulturgut

Ob das Gesetzesvorhaben dem Protest der Filmbranche zum Trotz realisiert wird oder nicht, eines ist gewiss: Der blaue Dunst spielte seit je eine ganz eigene Rolle im Film. Sei es, dass er Femme fatale Lauren Bacall geheimnisvoll umnebelt, sich artig-stilsicher aus Audrey Hepburns Zigarettenspitze in „Frühstück bei Tiffany“ schlängelt. Sei es, dass er Draufgänger Jean-Paul Belmondo im französischen Gangsterfilm „Außer Atem“ einen zusätzlichen Hauch Verwegenheit verleiht. Zigarettenrauch war im Film immer mehr als seine Summe aus Tabak und Filter. Das zeigt der 2014 vom Deutschen Filminstitut herausgegebene Bildband „Thank You for Smoking“. Seine Herausgeber verstehen ihn nicht als Hommage an die Zigarette im Alltag, sondern an das stilvolle Inhalieren Bogarts, Dietrichs oder Brandos. Die Zigarette wird als filmisches Stilmittel und gleichzeitig kulturhistorisches Artefakt präsentiert, das aus den ersten hundert Jahren Kinogeschichte nicht mehr wegzudenken ist.

Die von Filmwissenschaftlern, Produzenten und Regisseuren zusammengetragenen Essays handeln von den cineastischen Glanzzeiten des Rauchs im 20. Jahrhundert. Darunter Paradestücke wie Jim Jarmuschs „Coffee And Cigarettes“, der in elf skurrilen Episoden beinahe nichts anderes behandelt als die titelgebenden Alltagsdrogen. Daneben wird die Zigarette als Attribut starker Frauen von der Stummfilmzeit bis hin zu Sharon Stone in „Basic Instinct“ oder Uma Thurman in „Pulp Fiction“ beleuchtet.

Vor allem wirft der Band einen Blick zurück – auf die alten, rauchenden Haudegen und schönen Frauen der Filmgeschichte. Deren uneingeschränkte Glanzzeiten sind heute aufgrund verschärfter Gesundheitsauflagen und des stärkeren Bewusstseins für die Gefahren des Rauchens gezählt. Wenn am Set geraucht wird, dann häufig nur mehr ein Kräutersurrogat.

In Thailand seit 2000 verboten

Was Italiens Regisseuren vergangene Woche in blanke Angst um ihre künstlerische Freiheit versetzt hat, ist in vielen Ländern bereits seit Jahren gesetzlich verankert. In Wales betrifft das Rauchverbot seit 2007 auch Schauspieler auf der TV- oder Kinoleinwand. Auch das Filmunternehmen Disney verhängte im selben Jahr ein Pauschalverbot für zukünftige Produktionen. Das mutet wie ein Memento mori an, wo doch sein kettenrauchender Gründer, Walt Disney, im Alter von 65 Jahren an Lungenkrebs gestorben ist. Im asiatischen Raum setzte man den Zensurstift noch früher an. In Thailand etwa ist das Rauchen vor laufender Kamera seit 2000 verboten. Indiens weltweit größte Filmindustrie musste sich 2005 von der Zigarette im Film verabschieden. Nach einem Aufschrei der Bollywood-Regisseure dürfen indische Schauspieler seit 2011 zwar in Ausnahmefällen wieder rauchen – jedoch muss zeitgleich mit dem ersten Zug ein Banner eingeblendet werden, das über die schädliche Wirkung aufklärt.

In Ländern wie der Türkei wird Rauchen vor laufender Kamera mit drakonischen Strafen belegt. Dort mussten vergangenes Jahr zwei Sender jeweils mehr als 28.000 Euro zahlen, weil sie die Zigaretten in der in den Sechzigerjahren angesiedelten, amerikanischen Serie „Mad Men“ bei ihrer Ausstrahlung nicht ausblendeten. Kritiker wiesen erfolglos darauf hin, dass eine verpixelte Zigarette weit mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehe als deren normale Darstellung.

Gegen solcherart Zensur mutet der Vorstoß der italienischen Gesundheitsministerin harmlos an. Sollte der Protest der Regisseure Erfolg haben, wird die „große Schönheit“ des Zigarettenrauchs dem italienischen Film auch weiterhin erhalten bleiben.

Rauchverbot im Film

Italiens Regisseure steigen gegen ein mögliches Rauchverbot in Film und Fernsehen auf die Barrikaden. In vielen anderen Ländern ist es längst gesetzlich verankert. Thailand verhängte es 2000, Indien 2005, Wales 2007 und mit Disney die erste große Produktionsfirma im selben Jahr – die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Österreich tastete das Rauchen im Film und Fernsehen bisher nicht an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2015)

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