'Nacktschnecken'-Fortsetzung: Das Gras blüht wieder

Ein Bullenschwein
Ein Bullenschwein(c) Lunafilm
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Mit der surrealen Drogenfantasie "Contact High" legt Michael Glawogger die Fortsetzung seiner Komödie "Nacktschnecken" vor. Gefeiert wird darin eher die halluzinogene Kraft des Kinos.

Sex & Drugs & Rock'n'Roll: Das Konzept ist unverwüstlich – aber immer noch für Überraschungen gut. Das belegt Michael Glawoggers unglaublicher neuer Film Contact High, ein knallbunter und überbordender Trip ins Wunderland. Diesmal tauchen die steirischen Bummelstudenten aus Glawoggers Sexkomödie Nacktschnecken in eine surreale Drogenfantasie ein (ein Musikfilm ist geplant, um eine Sex-&- Drugs-&-Rock'n'Roll-Trilogie abzuschließen).

Verblüffend an Contact High ist zuerst das völlig veränderte Erscheinungsbild: Nacktschneckenbot Low-Budget-Ästhetik, das passte perfekt zur Geschichte um Nichtstuer, die per Pornoproduktion ans Geld wollen. Contact High schwelgt nun dagegen im (Farben-)Rausch. Die üppige, liebevoll mit Kitschaccessoires verzierte Ausstattung und psychedelische Trickeffekte tragen ebenso zum internationalen Flair bei wie die heiter eskalierende Sprachverwirrung zwischen Graz, Mexiko und Drogomysl in Polen. Während sich das Bewusstsein der Protagonisten laufend verändert, wandelt sich ihr Redefluss gleich mit, öfters ändert sich mitten im Satz die Sprache: „Cheap and g'sund“, heißt es einmal über die Vorteile des Phänomens, das dem Film den Titel gibt. Unter „Contact High“ versteht man, dass eine nüchterne Person die Wirkung der Drogen spürt, die ein anderer genommen hat.

Das Phänomen begleitet die Exstudenten Max Durst (Michael Ostrowski) und Hans Wurst (Raimund Wallisch), die nun als erfolglose Würstelstandbetreiber viel Zeit haben. Die Experimente gehen weiter, als Freundin Mao (amüsiert: Pia Hierzegger) das Duo nach Lodz schickt, um eine mysteriöse Tasche zu holen. Ein zweites Doppel folgt zu Überwachungszwecken (genialisch gegensätzlich in Auftreten wie Ausdruck: Georg Friedrich, Detlev Buck). Aber nur einer behält den Überblick, während merkwürdige Visionen und schwachsinnige Verwechslungen das Chaos steigern: Ein blinder Mann, der geheimnisvoll interveniert – und sogar die Macht über den Filmsoundtrack zu haben scheint.


Spiel mit Wahrnehmung. Transformationen aller Art sind die tatsächliche Triebfeder von Contact High: Georg Friedrichs Schorschi mag Minuten brauchen, um alle Drogen in seinem Kofferraum aufzuzählen, aber für Glawogger ist eindeutig Kino selbst das wirksamste Halluzinogen. Er baut irre Einlagen um diverse Räusche zwischen Haschkeks und Amphetaminen, auch das böse Erwachen wird inspiriert inszeniert: Beim Discobesuch auf Pillen sind plötzlich Menschen mit Hundeköpfen auf der Tanzfläche, am nächsten Morgen finden sich Max und Hans im zu Miniaturgröße geschrumpften Hotelzimmer wieder. Die Dusche ist so klein, dass man sich damit nur mehr die Hände waschen kann – was Hans tut, als wär nichts passiert. Vergebens: Kaum treten die zwei – exakt zur Mitte des Films und zu Captain Beefhearts „Mirror Man“ – auf die Straße, läuft alles verkehrt: Der hübsche audiovisuelle Rückwärtstrick ist nur eines der vielen Spiele mit der Wahrnehmung, die Glawogger treibt. Ständig werden Motive, Sätze, Dinge und Figuren verdreht und verdoppelt, gespiegelt und variiert: Die Überfülle an Details, beim einmaligem Sehen kaum zu fassen, produziert ihr ganz eigenes High.

„Unser Humor ist kein Konsenshumor“, weiß Glawogger: Seine Komödie funktioniert weniger gemäß gewöhnlicher Gag-Dramaturgien, eher über die nachgerade kindliche Euphorie am Fabulieren und Entdecken, am Zaubern und Zitieren. Das filmische Glücksgefühl bereichern Momente aus Lewis Carrols philosophischer Fantasie – an sein „Alice im Wunderland“ erinnert nicht nur ein Pilzdelirium – oder Comics: Frei nach Underground-Zeichnungen von Robert Crumb und Gilbert Shelton gibt es wortwörtlich „Bullenschweine“ zu sehen. Die dürfen sich zuletzt freilich gemütlich einrauchen, während zu Sven Regeners Coverversion des alten Hadern „Don't Bogart that Joint“ die Welt Kopf steht: Trotz Freude an der Irritation ist Glawoggers Fantasie eindeutig wohlwollend.

Auch deswegen passt Contact Highbei aller Eigenwilligkeit ins freundlichste Genre des Drogenfilms: die Kifferkomödie, aus der Taufe gehoben vom Comedy-Duo Cheech und Chong. Mit ihren Drogenhumorsketches hatten „Cheech“ Marin und Tommy Chong schon auf Bühnen und Platten Erfolge gefeiert, bevor ihnen 1978 mit dem Filmdebüt Viel Rauch um Nichts ein Kassenschlager gelang. Aber das Erfolgsrezept nützte sich nach ein paar Filmen ab. Es gab einige versprengte Nachfolger, aber erst zur Jahrtausendwende erfuhr die Kifferkomödie eine regelrechte Renaissance. Seither ist das frühere Nischenprodukt für Hollywood zum massentauglichen Genre geworden: David Gordon Greens Ananas Express mit Comedy-Jungstar Seth Rogen war letzten Sommer ein Hit beim US-Box-Office (in Österreich erschien er aber nur auf DVD). Auch dabei handelt es sich um einen Genremix, im Gegensatz zu Glawoggers glückvoller Verbindung aus Drogentrip und Verwechslungsfarce geht in Ananas Express jedoch die Lockerheit des Marihuanalustspiels mit der Härte von Actionkino im 80er-Stil nicht ganz zusammen.

Was an das wandelbare Wesen der Kifferkomödie erinnert. Die frühesten Vertreter des Genres wurden erst nachträglich dazu erhoben: Billige Anti-Cannabis-Propagandafilme der 30er-Jahre wie Reefer Madness wurden aufgrund ihrer beträchtlichen unfreiwilligen Komik zu Favoriten für Videoabende unter bedröhnten Freunden. Die schleißig gespielten und inszenierten Filme gehörten zu einer Kampagne, die der oberste US-Drogenfahnder Harry J. Anslinger steuerte und insbesondere auf die Kriminalisierung von Cannabis abzielte, das mit so verdächtigen Elementen wie mexikanischen Gastarbeitern und Jazzmusikern assoziiert wurde. (In Reefer Madness genügt ein Zug am Joint, um einen zum hemmungslos klimpernden Klavierspieler zu machen – oder zum wahnsinnigen Axtmörder; 2005 entstand übrigens ein parodistisches Musical-Remake.)

Warnung vor „Teufelskraut“. Lange war das Kino auf Warnungen vor dem angeblichen Teufelskraut abonniert, vom Stummfilmwestern (High on the Range) zum Fifties-Teenagerfilm (High School Confidential!): Einen Überblick zum Zusammenspiel von Film und Politik mit unglaublichen Szenen aus Lehr- und Spielfilmen bot der kanadische Subkulturspezialist Ron Mann 1999 in der dokumentarischen Kompilation Grass, für die er Hanfaktivist Woody Harrelson als Erzähler gewann.

Mit dem Zeitenwandel der Sixties und Seventies änderte sich auch die Darstellung von Drogen im Film: Gras gehörte zum Lifestyle in Swinging London (von den Beatles zu Michelangelo Antonionis Blow Up) ebenso wie zu den rebellischen Gegenkultur-Trips durch die USA à la Easy Rider. Viel gekifft wurde auch in Jamaica (The Harder They Come), in Vietnam, im Underground, sogar beim Zeichentrickfilm (Fritz the Cat). Kein Wunder, dass Al Pacinos Undercover-Cop Serpico bei der Polizeiausbildung einen Joint rauchen musste.

Doch erst Cheech und Chong gaben der Subkultur ihr sogenanntes Stoner-Movie. Die Kifferkomödien des Duos etablierten ein Grundmuster: Mit möglichst großen Joints (gern auch anderen Rauschmittel) herumtreiben auf der Suche nach einem vagen Ziel – oft dem nächsten möglichst großen Joint. Die Variationsbreite war schnell ausgereizt. Noch die Kifferfilme mit Hiphop-Anbindung der 90er (wie Friday mit Rapper Ice Cube) setzten auf Altbewährtes. Aber bald gelang eine Anbindung an den Mainstream: In L. A. steckten die smarten Coen-Brothers bei The Big Lebowski Jeff Bridges als eingerauchten Späthippie in einen Krimi, im britischen Lustspiel Grasgeflüster entdeckten ältere Semester die Vorzüge von Hanfanbau und -konsum, es gab sogar eine deutsche Kifferkomödie: Lammbock mit Moritz Bleibtreu.


Erstaunliche Blüten. Seit 2000 hat das Genre erstaunliche Blüten getrieben: Die Bandbreite reicht von der abstrusen Horror-Comedy Evil Bong (Wasserpfeife mordet in Kiffer-WG) zur Popkulturparodie Ey Mann, wo is' mein Auto?, deren Regisseur Danny Leiner im zweiten Grasgeniestreich Harold and Kumar satirisch von der Multikulti-Gesellschaft erzählte – und demonstrierte, wie schlau das vermeintlich so blöde Genre sein kann.

So wechselte Kunstfilmer Gregg Araki für Smiley Face die Gangart: In der ersten Kifferkomödie mit weiblicher Heldin (der begnadeten Anna Faris) gibt es sogar eine Nebenhandlung um das (originale) kommunistische Manifest. Beiläufig hat das Genre wieder Subversionspotenzial entwickelt. Negativ belegte das die Fortsetzung Harold and Kumar Escape From Guantánamo Bay: Dumpfer Slapstick und plakative Schlagwörter ersetzten den utopischen Geist des Originals, aus dessen kritischem Blick wurde ein reaktionärer – sogar Präsident Bush entpuppt sich da, ganz ironiefrei, als wohlmeinder Kiffer. Im Gegensatz dazu schilderte der Dokumentarfilm a/k/a Tommy Chong eine gezielte Aktion gegen den Stoner-Veteran, die durch verschärfte Gesetze für Bushs „War on Terror“ möglich wurde: Chong wurde zu mehreren Monaten Gefängnis verurteilt, weil er im Internet Rauchzubehör verkaufte.

Mittlerweile arbeitet er am Comeback: Das Revival der Kifferkomödie sorgt für die Rückkehr der Pioniere. Cheech und Chong werden demnächst– wie die stets eingerauchten „Fabulous Furry Freak Brothers“ aus Gilbert Sheltons legendären Comics – als Helden eines Animationsfilms zurückkehren; und am ersten gemeinsamen Spielfilm seit 25 Jahren arbeiten sie auch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2009)

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