"Nackt unter Wölfen": Menschlich bleiben im KZ? Wie?

Nackt unter W�lfen
Nackt unter W�lfen(c) ORF
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„Nackt unter Wölfen“ erzählt von der Rettung eines Kindes in Buchenwald. Die Neuverfilmung wird der unglaublichen Geschichte nicht gerecht.

Sterben ist hier nicht so einfach, wie man hofft“, sagt ein SS-Kommandant, als der Kommunist Hans Pippig (Florian Stetter) 1943 im NS-Konzentrationslager Buchenwald ankommt. Wenig später wird sein Vater ermordet, „durch den Schornstein entlassen“, wie die Nazis das in ihrem Zynismus nennen. Zwei Jahre lebt – überlebt – Pippig im Lager, ehe die eigentliche Handlung des Fernsehfilms „Nackt unter Wölfen“ einsetzt. Kurz vor der Befreiung Buchenwalds am 11. April 1945 werden KZ-Häftlinge aus Auschwitz ins Lager gebracht. Einer von ihnen schmuggelt einen dreijährigen jüdischen Buben nach Buchenwald. Sollen die Gefangenen versuchen, ihn zu retten, oder ihn aufgeben, um nicht ihr illegales Widerstandsnetz und ihr Leben zu gefährden?

Dieser moralische Konflikt steht im Zentrum des gleichnamiges Romans von Bruno Apitz – er war selbst acht Jahre lang (1937–45) in Buchenwald inhaftiert –, auf dem der Film basiert. 1958 in der DDR erschienen, wurde das Buch zum Bestseller und zum Klassiker des DDR-Antifaschismus. Zum Erfolg trug auch der Film von Defa-Regisseur Frank Beyer aus dem Jahr 1963 bei, ein Kammerspiel in Schwarz-Weiß. Den Buben gab es tatsächlich: Stefan Jerzy Zweig überlebte, später wurde er Kameramann für den ORF in Wien. Was der Roman nicht erzählt: Statt seiner wurde ein 16-jähriger Roma-Junge ermordet. Der echte Stefan hatte einen Vater, der ihn rettete.

>> Die wahre Geschichte des "Buchenwaldkindes"

Aber die ganze Wahrheit über die historischen Fakten wurde erst später bekannt. Sie passte nicht in die DDR-Propaganda, auch nicht zur (überhöhten) Geschichte der Selbstbefreiung Buchenwalds, einem DDR-Gründungsmythos. In einer erweiterten Neuausgabe des Romans von 2012 finden sich zudem Passagen, die Apitz nach Einspruch seiner Genossen gestrichen hatte.

Die Tage der Nazis sind gezählt

Regisseur Philipp Kadelbach und Drehbuchautor Stefan Kolditz beziehen diese in ihre Neuverfilmung mit ein. Ihrem Fernsehfilm gelingt es zu Beginn, das durchorganisierte und höchst effiziente System Konzentrationslager darzustellen. Im Akkord wird Haar geschoren, gestreifte Häftlingskleidung ausgegeben. Werden Menschen wie Sklaven zur Arbeit getrieben. Dazwischen montiert der Film Archivmaterial vom Vorrücken der Alliierten und Propagandaansprachen der NS. Die Tage der Nazis sind gezählt, das sehen auch die Befehlshaber des KZ. Sollen sie das Lager evakuieren und die Gefangenen auf einen Todesmarsch schicken, sie gleich an Ort und Stelle ermorden oder sie als „Faustpfand“ für Verhandlungen mit den Alliierten zu benutzen versuchen? Die Nazis, die die jeweiligen Ansichten vertreten, bleiben schablonenhaft. Lediglich Sabin Tambrea bricht als Wendehals, der es sich in jedem System zu richten weiß, aus diesem Typenreigen aus.

Psychologisiert wird vor allem die Hauptfigur Pippig, der das Kind entgegen der Anweisung der illegalen KPD-Leitung schützt. Rückblenden zeigen ihn als werdenden Vater. Doch der Film verliert ihn aus dem Fokus, wie auch seine anderen Figuren. Der potenzielle Denunziant bleibt schwach, der Anführer der Kapos, der Häftlinge in Organisationsfunktion, kühl: Man könne nicht den Aufstand und damit das Leben von 50.000 Insassen wegen eines Einzelnen gefährden, meint er. Ihm gegenüber stehen zwei Genossen, die sich eher foltern lassen, als das Kind zu verraten. Der Bub wird so zum Gradmesser für moralisches Handeln: Wie menschlich kann jemand im unmenschlichen System des SS-Terrors bleiben? Diese Frage beantwortet der Film nur unzureichend. Der Druck von außen auf die Figuren steigt, ihr innerer Konflikt bleibt dem Zuseher meist verborgen.

„Nackt unter Wölfen“, heute, Mittwoch, 20.15 Uhr, ORF2.

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