Kurzfilmfestival: Ausbruch aus dem Kinosaal

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Das Kurzfilmfestival Vienna Independent Shorts bespielt nicht nur Kinoleinwände. Besucher können sich auch zu Videos ins Bett legen.

Bei Daniel Wiroths Stop-Motion-Tanzfilm ‚erè mèla mèla‘ habe ich plötzlich gesehen, was möglich ist. Das war so faszinierend, das hat mich damals richtig mitgenommen“, so schildert Daniel Ebner, wie er das erste Mal vom Kurzfilm gepackt worden ist. Nun ist Ebner künstlerischer Leiter von Vienna Independent Shorts, des Festivals für unabhängigen Kurzfilm, bei dem er so ein Schlüsselerlebnis auch anderen ermöglichen will: Das „Gepacktwerden“ hat er als Leitbild des Festivals formuliert.

Vor elf Jahren haben die Vienna Shorts als Studentenprojekt begonnen, mittlerweile sind sie zu einem internationalen Festival herangewachsen. Der Andrang ist groß: Über 3000 Filme wurden dieses Jahr eingereicht. Wie Ebner hat auch Programmkuratorin Marija Milovanovic unzählige dieser Einsendungen gesichtet und für Festivalwettbewerbe und Sonderprogramme ausgewählt. Ihr Fazit: Auch diesmal zeige sich ganz unterschiedlich, was bei Film alles möglich ist. Typisch für Kurzfilm, meinen die beiden. Denn gegenüber dem Langfilm könne er mit einigen Vorteilen punkten. Nicht an einen fixen Produktionsrahmen und große Geldsummen gebunden, sei er frei für ganz unterschiedliche Blickwinkel und Inhalte, die sich schärfer und aktueller mit der Umgebung auseinandersetzen. „Wir halten immer Ausschau nach Filmen am Puls der Zeit“, sagt Ebner und verweist auf das diesjährige Fokusthema „The State of the Art“, zu dem es ein eigens kuratiertes Programm geben wird.

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Anpassungsfähig. Was ist gerade State of the Art beim Kurzfilm? Mit einem Resümee tun sich Ebner und Milovanovic schwer. Ihnen geht es nicht darum festzulegen, welche Filme man gesehen haben muss oder an welchen Ort der Kurzfilm gehört. „Der Kurzfilm lässt sich schwer in ein fixes Korsett oder einen Kinosaal drängen“, sagt Ebner: „Es gibt nichts Schöneres, als wenn die Leinwand hell und der Saal dunkel wird, aber es ist auch völlig okay, sich zu überlegen: Welcher Film könnte am Flugzeugscreen gut funktionieren? Was passt zum Smartphone?“ Deshalb formuliert er die für sie brennendere Frage: „Wie kann welcher Film in welchem Kontext präsentiert werden?“ Dabei müsse man auch die Filmrezeption mitdenken, ergänzt Milovanovic: „Schließlich verändern unterschiedliche Räume auch die Wahrnehmung.“ Da der Kurzfilm sehr oft in den Räumen der Kunst eine neue Heimat findet, wenn er aus dem Kino ausbricht, wird das Festival unter seinem Fokusthema also vor allem die aktuelle Situation des Kurzfilms zwischen Kino und Kunstkontext beleuchten.

Kurzfilm im Kunstraum gibt es etwa im Künstlerhaus, für das Ebner mit Brent Meistre und in Kooperation mit den Wiener Festwochen (bei denen Meistre auch „Analogue Eye“ vorstellt, siehe den folgenden Artikel) „U/Tropia“ konzipiert hat: Der Titel ist ein Wortspiel aus Utopie und Dystopie, Tropia, einem Augenfehler, und Zoetrop, der optischen „Wundertrommel“ aus den Anfängen der Bewegtbilder, und die Schau soll zeigen, wie unbekannte Perspektiven die Wahrnehmung verändern: Untertags kann man sich etwa im Ausstellungsraum zu einer Videoprojektion ins Bett legen, während sich die Arbeiten inhaltlich mit dem verzerrten Blick auf Afrika in der westlichen Gesellschaft beschäftigen. Am Abend wird sich ein Liegekino mit der Wahrnehmung vom Bewegtbild und der Welt auseinandersetzen.

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Neue Tendenzen. Auch im Metro-Kinokulturhaus wird neben dem Kinosaal ein Ausstellungsraum bespielt. Dort quartiert sich das Filmkollektiv Screen Bandita ein und gestaltet mit Material aus Foto- und Filmarchiven eine Pop-up-Galerie mitsamt Performanceabend. Dieses Arbeiten mit Archivmaterial komme nicht von ungefähr: „Analog ist im Trend“, vermutet Ebner.

Er und Milovanovic haben unter den Filmen des diesjährigen Festivals weitere aktuelle Tendenzen beobachtet: Die Werke werden länger, neue Erzählmethoden werden gesucht. Ebenso habe 3-D in manchen Genres den Kurzfilm erobert. Dieses Jahr spielt „back track“ vom Österreicher Virgil Widrich mit dem Dreidimensionalen: Bei diesem Film merke man, so Ebner, die Lust am Experimentieren, die österrei-
chischen Kurzfilmschaffenden so im Blut liege. Aber nicht nur im Avantgardebereich würden hierzulande gute Filme entstehen. Deswegen gibt es neben den Wettbewerbskategorien Animation Avantgarde, Musik-
video und Fiction & Documentary ebenfalls einen Österreich-Wettbewerb.

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„Der österreichische Film steht auch im Ausland gut da“, weiß Ebner von den Reisen, bei denen er und sein Team das hiesige Schaffen auf anderen Festivals positionieren. Dieses Netzwerken hat den Vienna Shorts 2014 den Bank-Austria-Kunstpreis für die Kategorie „International“ eingebracht. Dieses Jahr gebe es Partnerfestivals in Tampere und Lissabon, auch nach Wien würden internationale Gäste geholt, so Milovanovic: „Es ist die Basis, um voranzukommen. Durch das Kennenlernen der Leute entwickelt sich Neues.“

Austausch. Neues, gar ein richtiger Boom des Kurzfilms, ergibt sich auch aus der heutigen Vertrautheit mit dem Medium: Jeder hat schnell einen kurzen Film gemacht und auf YouTube hochgeladen. Nicht nur mehr Filme, auch mehr Zuseher gebe es deshalb, vermutet Benjamin Gruber, den als Geschäftsführer des Festivals Zahlen beschäftigen: „Die Zielgruppe gehört zur Generation Y, die mit dem Internet aufgewachsen ist.“ Die Präsentation im Internet hat etwa Musikvideos zum Aufschwung verholfen. Warum sehen Digital Natives also nicht gleich Filme online, warum ein Festival besuchen? Zum Austauschen, ist sich Gruber sicher: „Die Filmpräsentationen gehen über das Screening hinaus, man kann hier sehr direkt mit Regisseuren ins Gespräch kommen.“

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Das Programm der Vienna Shorts ist umfangreich. Zwischen Mitternachtskino und der VIS Academy mit Gesprächen und Workshops nennt Ebner ein Highlight, bei dem wohl auch er den Austausch suchen wird: Der Animationsfilmemacher Don Hertzfeldt reist aus Amerika an. Im Filmmuseum wird ihm ein Spotlight mit Retrospektive und Masterclass gewidmet, beim Wettbewerb läuft sein neuer, bereits prämierter Film „World of Tomorrow“. Darin wird ein Mädchen von seinem zukünftigen Ich in die Zukunft geholt. „Bei der Arbeit merkt man einmal mehr sein Feingefühl“, schwärmt Ebner über den Stargast, der für reduzierte Strichmännchen und bitterbösen Humor bekannt ist: „Ich stehe auf absurde Komik. In dem Bereich ist Hertzfeldt ein richtiger Gigant, bei dem ich auch ein bisschen zum Fan mutiere.“

Tipp

Vienna Independent Shorts. Zwölftes Kurzfilmfestival in Wien. Filmwettbewerbe, Spotlights zu  Filmschaffenden, VIS Academy‚ Spezialprogramme u. a. Fokusthema 2015: „The State of the Art“. 26.–31. 5. www.viennashorts.com

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