„Rocks in My Pockets“: Die Depression ist ein Luftballon

(C) Signe Baumane
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Signe Baumane erzählt in ihrem Animationsfilm „Rocks in My Pockets“ die psychische Krankengeschichte ihrer Familie. Ohne Bitterkeit, dafür bildstark und mit feiner Ironie.

Unter lautem Knarzen rollt die Protagonistin einen großen Stein einen Berg hinauf. Schritt für Schritt. Kurz bevor die Kuppel erreicht ist, an der letzten Kante – sie hat es fast geschafft –, schlüpft aus dem Inneren des Steins ein Monster. Es schaut sie an, brüllt, sie lässt den Stein los, läuft den Berg wieder hinunter. Doch da ist plötzlich noch ein Stein, er versperrt ihr den Weg, und das Monster rumpelt von oben auf sie zu. Sie droht eingequetscht zu werden.

Es ist eines der vielen Bilder, mit denen die aus Lettland stammende und in New York lebende Filmemacherin Signe Baumane in ihrem Animationsfilm „Rocks in My Pockets“ veranschaulichen will, wie sich eine Depression anfühlt. Mit scharfem Blick und einem großzügigen Schuss Ironie begibt sie sich auf eine Reise durch ihre Familiengeschichte, genauer gesagt, die Geschichte des Dämons namens psychische Krankheit, der sich in ihrer Familie über Generationen hinweg immer wieder blicken ließ und so manche Frau in den Suizid trieb.

Allheilmittel Valium

Von der Großmutter Anna, die sich wohl umgebracht hat, auch wenn ihre acht Kinder es nie aussprechen würden, zog der Dämon weiter zu Baumanes Cousinen, bei denen das Leben nicht wie ausgemacht lief: Die eine etwa steckte sich hohe akademische Ziele, doch Ehe und Mutterschaft zwangen sie in ein trostloses Dasein. Auch Baumane selbst scheiterte mit ihrem Lebensentwurf, die genetische Vorbelastung tat den Rest, wie man im Film erfährt: Schizophrenie lautet die ursprüngliche Diagnose einer unheimlichen Psychiaterin, nach erfolgreicher Bestechung durch die Eltern wird das Urteil abgeschwächt, manisch-depressiv steht nun auf dem Patientenblatt.

Wie das mit dem Suizid funktionieren würde, weiß sie, sogar welche Seilmarke sich am besten zum Erhängen eignet und wie man den Putzaufwand der Hinterbliebenen minimiert. Mit trockenem Witz erzählt Baumane davon, ohne Bitterkeit oder Trauer. „A funny film about depression“ heißt es im Trailer zum Film, und er ermutigt wohl, die Depression nüchtern und pragmatisch zu sehen, wie eine kleine Verletzung, von der man sich doch nicht unterkriegen lässt. „Being alive and sane is an everyday effort“, so die Losung. Daneben schildert „Rocks in My Pockets“, wie sich das Verständnis für psychische Krankheiten in Lettland im Lauf der Zeit änderte: Aus „schwachen Charakteren“ wurden kranke Menschen, zum einstigen Allheilmittel Valium gesellten sich mit der Zeit neue Therapien.

Baumane produzierte, schrieb und zeichnete ihren ersten Langfilm weitgehend im Alleingang. Ihre mit feinem Strich geformten Figuren, die alle ein wenig missraten wirken, bewegen sich durch eine dreidimensionale Welt, die aus Pappmaschee gebaut und mittels Stop-Motion-Verfahren auf Film gebannt wurde: dunkle Wälder, leere Häuser, Schatten überall. Baumane wollte die ernste, streng surreale Filmkunst Osteuropas mit den lustigen, lebhaften amerikanischen Animationen verbinden.

Das Ergebnis ist ein unberechenbarer, düsterer und doch lebensbejahender Film voll visueller Anspielungen: Aus dem Kopf der strebsamen Cousine wächst da ein Staubsauger, der Bücher im Ganzen frisst. Isolierte Ehefrauen finden sich in einem Glas gefangen, die unnahbare Großmutter windet sich als glitschiger Fisch aus den Armen ihres Mannes. Die Depression ist ein Luftballon, gespickt mit Rasierklingen, der sich in Baumane aufbläst und sie von innen pikst. Und kranke Gehirne werden in der Psychiatrie mit Pflastern zugeklebt, der Kopfdeckel klappt auf, wieder zu, basta. Wenn es nur so einfach wäre, den Dämon zu besiegen!

„Rocks in My Pockets“: ab 24.4. im Wiener Top-Kino, als Stream/Download auf rocksinmypocketsmovie.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2015)

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