Peter Kern: "Die größte Obszönität des Jahres!"

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Peter Kern zeichnet in "Der letzte Sommer der Reichen" das Bild einer dekadenten Oberschicht. Mit der "Presse" sprach er über Apokalypse, Liebe, Streit und den Song Contest.

Peter Kern ist ein zäher Einzelkämpfer des österreichischen Kinos. Der Schauspieler und Regisseur dreht seit 1980 mit hartnäckiger Leidenschaft und stolzer Schamlosigkeit Filme auf eigene Faust, die vor Pathos und großen Gesten ebenso wenig zurückschrecken wie vor politischen Anklagen oder unverblümter Sexualität. Sein stets sinnliches Schaffen zeichnet sich aus durch eine kraftvolle Ästhetik des Reichtums in der Armut: Opulenz trotz allem. „Der letzte Sommer der Reichen“, der bei der Berlinale Premiere hatte, ist für Kern-Verhältnisse eine Großproduktion, entwirft ein Sittengemälde verkommener Ösi-Eliten, das David Schalkos „Altes Geld“ noch älter aussehen lässt. Mittendrin: ein zärtliches Melodram von der tragischen Liebe zwischen der abgestumpften Konzernchefin Hanna von Stezewitz (Amira Casar) und der Nonne Sarah (Nicole Gerdon).

Die Presse: Ihr Film „Der letzte Sommer der Reichen“ porträtiert die österreichische Oberschicht als dekadentes Imperium, das sich selbst zerfleischt und den Rest der Welt ausbeutet. Der Titel verheißt Untergang. Glauben Sie, dass die Gesellschaft in ihrer gegenwärtigen Form keinen Bestand hat?

Peter Kern: Die Apokalypse hat bereits begonnen. Die Demokratie gibt es schon lange nicht mehr. Wen ich heute wähle, ist egal. Alle sind Karrieristen. Woran liegt das? Meiner Meinung nach daran, dass die Kunst nicht so gefördert wurde, wie es sich gehört hätte. Die Kunst ist der Vordenker von Politik und Gesellschaft. Wenn man sie kurzhält, schmälert, erwürgt, niederstampft in einem Marmor aus Niederösterreich, ist das grauenhaft. Aber genau das leben wir gerade. Ich bin froh, dass ich schon sehr alt bin, denn ich möchte nicht erleben, was in 40 Jahren los ist.

Was kommt nach der Apokalypse?

Ich glaube, dass sich die Welt selbst auflöst. Das sinnloseste Tun ist der Krieg, und wie immer wird es sinnlos werden. Es wird kein Leben mehr geben, auch keine Lust am Leben, das wird einem alles ausgetrieben. Das ist nicht nur so ein Spruch: Wir leben nur von Verboten. Jeden Tag ein neues Verbot, und das nennt sich Freiheit. Die Kommunisten haben früher bei den Feiern am 1. Mai „Freiheit!“ gerufen. Die gibt es heute nicht mehr.

Warum blickt Ihr Film gerade auf die Reichen und Mächtigen?

In einer Welt der Hedgefonds, wo das Volk belogen und betrogen wird, hat mich interessiert: Wie und warum lebt der Reiche so, wie er lebt? Weil er unglücklich ist. Hanna verschenkt ihren Besitz, weil sie verliebt ist. Dass nicht Besitz, sondern nur Liebe Reichtum bedeuten kann, wollte ich erzählen.

War Ihnen wichtig, dass eine Frau die Hauptfigur ist?

Das ist mir völlig egal. Lesbisch, schwul, hetero, auch das ist alles abgehakt. Man macht das bloß immer wieder zum Thema, weil man keine anderen Themen mehr hat.

Sie schaffen es immer wieder, renommierte Schauspieler – diesmal etwa die Britin Amira Casar – für ihre relativ moderat budgetierten Projekte zu gewinnen.

Ich renne meinen Schauspielern nicht nach, sie wollen bei mir spielen. Amira Casar kennt man hierzulande gar nicht so gut, in Großbritannien und Amerika ist sie eine wichtige Figur – nicht im Mainstream, sondern in der Kunst. Ich engagiere Schauspieler, die selbstständig denkende, kreative Geschöpfe sind.

Wollen Sie auch Widerspruch von ihnen?

Es gibt ununterbrochen Widerspruch, Kampf und Streitereien – das ist ja nur produktiv. Einige scheue Maskenbildnerinnen zucken zusammen, wenn's ein bisschen laut wird; dann sollen sie eben die Kinderserien für den ORF machen oder den Song Contest. Die größte Obszönität des Jahres! Da fließen Hunderte von Millionen hinein, plötzlich ist Geld da, weil wir Werbung machen können für Wien. Das ist die Katastrophe, darum geht Wien zuallererst unter: Diese Stadt versteht unter Kultur den Song Contest.

Bei der Diagonale gab es heuer nach den Screenings Ihres Films wieder hitzige Publikumsgespräche.

Dafür bin ich dankbar. Ich möchte keine Betulichkeit, sondern Meinungsbildung. Man muss die Meinungen aufeinanderhetzen, damit sie sich reinigen. Mit jedem Streit hat man vom anderen etwas gelernt. Der Film ist eine Basis, um nachzudenken: wo wir stehen, wohin wir wollen, wo die Schmerzen sind und wo die Hoffnung.

Luchino Visconti ist eines Ihrer großen Vorbilder. Kann man Ihren aktuellen Film auch als Hommage an ihn bezeichnen?

Nein. Ich kann doch an niemanden eine Hommage machen, der so genial war wie Visconti! Ich bleibe ein Peter Kern mit Peter-Kern-Filmen, aber schaue mir weiter leidenschaftlich gern Visconti-Filme an, weil er die Menschen ähnlich sieht wie ich. Nur kommt er eher von der bürgerlichen Schiene. Ich sehe das eher von der Unterklasse her. Alles was ich mache, hat ja einen fast erdigen Hintergrund. Mir wurde im Leben nie etwas geschenkt. Ich musste mir alles selbst erarbeiten und bin dennoch nicht reich geworden.

Was gibt Ihnen die Energie, um weiterzumachen?

Die Aggression hält mich am Leben. Die Wut ist meine Unterhaltung, mein Spaß!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2015)

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