„Lost River“: Schön wie die Ruinen in Detroit

Lost River Ryan Gosling Film Christina Hendricks
Lost River Ryan Gosling Film Christina Hendricks(c) Constantin Film
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Das Regiedebüt des Hollywood-Schönlings Ryan Gosling, wurde in Cannes belächelt. Zu Unrecht. Der Film besticht durch verstörende Stimmungsbilder.

"Ruin Porn“, Ruinenporno, nennt man heute Fotografie, die den Verfall einstigen Prunks festhält. Solche verstörend schönen Fotos kennt man vor allem aus Detroit. Einst Vorzeigestadt des American Dream, steht die Motor City heute für den Niedergang von Industrie und Arbeiterschaft. Und fasziniert damit auch Filmemacher. Jim Jarmuschs elegischer Vampir- und Liebesfilm „Only Lovers Left Alive“ spielt zum großen Teil in Detroit. Auch Ryan Gosling hat seinen Spielfilmerstling „Lost River“ dort angesiedelt. Weniger in bekannten Ruinen wie dem Michigan Theatre. Vielmehr in verlassenen Vororten, wo Unkraut die Vorgärten überwuchert und sie in Brachland verwandelt.

Hier lebt Billy („Mad Men“-Star Christina Hendricks) mit ihren Söhnen, dem Kleinkind Franky und dem Teenager Bones. Ihr Haus hat Löcher, die Farbe blättert ab, trotzdem will sie es behalten. Es sei eben „my home“, sagt sie dem zwielichtigen Bankbeamten. Der verweigert ihr zwar einen weiteren Kredit, bietet ihr aber einen Job in seinem Nachtclub, wo morbide Fantasien zur Gaudi und als Katharsis des Publikums nachgespielt werden. Bones stiehlt derweil Kupfer aus den verlassenen Häusern und gerät dabei mit dem psychopathischen Gang-Oberhaupt mit dem sprechenden Namen Bully aneinander (Matt Smith, vier Jahre bejubelter Doctor Who). Im Nachbarhaus lebt das Mädchen Rat mit ihrer apathischen Großmutter und einer Ratte als Haustier. Ihr Fenster leuchtet verlockend grellpink – eine Neonröhre in Flamingo-Form dient ihr als Nachttischlampe – zum Nachbarbuben hinüber. Und dann ist da noch der See. Eine Senke, wo einst eine Ortschaft stand, wurde geflutet, auch der Dinosaurier-Themenpark. Der Fluss ging verloren. Seitdem liege ein Fluch auf der Stadt, erzählt Rat.

Langsam baut sich die Bedrohung in dem mit 95 Minuten angenehm normal langen Film auf – ausgehend vom Nachtclubbetreiber, viel mehr noch vom unberechenbaren Bully. Sie sind schablonenhafte Figuren, wie auch die anderen Männer eher flach bleiben.

Blog: „Feminist Ryan Gosling“

Mehr Tiefe als der Hauptfigur Bones gibt Regisseur und Drehbuchautor Gosling seinen weiblichen Stars. Saoirse Ronan ist als Rat gleichermaßen zerbrechlich und tough; Hendricks als Billy zugleich abgeklärt und gefährlich vertrauensselig. Schauspieler Gosling gilt als feministischer Frauenschwarm, seit er öffentlich kritisiert hat, dass einer seiner Filme, in dem ein Mann eine Frau oral befriedigt, keine Jugendfreigabe bekommen sollte. In den Blogs „Feminist Ryan Gosling“ und „Fuck Yeah! Ryan Gosling“ werden ihm seither feministische Botschaften in den Mund gelegt. Etwa: „Hey Girl, Gender ist ein soziales Konstrukt, aber jeder kuschelt gerne“, oder „Hey Girl, wenn ich einen Hammer hätte, würde ich das Patriarchat zerschlagen.“

Emanzipatorisch ist der Film des Hollywood-Stars, der von sich selbst sagt, er denke wie ein Mädchen, deswegen nicht. Er selbst nennt „Lost River“ ein „Geschenk an die Regisseure, mit denen ich in den vergangenen Jahren zusammengearbeitet habe“. Der Einfluss zweier Autorenfilmer ist deutlich spürbar. Etwa in der Szene, wo Bones einen violetten Gang entlanggeht, der so grell leuchtet, dass man fast die Orientierung verliert. (Kameramann Benoît Debie filmte „Spring Breakers“ und das rauschhafte, noch grellere „Enter the Void“.) Dieses Bild erinnert an „Drive“ von Gewalt-Ästhet Nicolas Winding Refn: Dort war Gosling selbst der Mann im lichtdurchfluteten Gang, in einer Hand schwang er einen Hammer, mit dem er wenig später auf eine Männerhand einschlug.

Zu hoch ästhetisierten Gewaltexzessen wie in „Drive“ kommt es in „Lost River“ nicht, hier bleiben die Ausbrüche kurz, ähnlich wie in den Filmen des zweiten Regisseurs, den Gosling als Einfluss nennt: Derek Cianfrance, eher ein Vertreter des filmischen Realismus, mit dem Gosling die Herkunftsstudie „The Place Beyond the Pines“ und das Beziehungsmelodram „Blue Valentine“ drehte. Zwischen diesen zwei Polen bewegt sich „Lost River“ nun: Fiebrige Fantasiebilder und reale Ängste werden in einem endzeitlichen Detroit aneinander montiert. Die Stimmungsbilder behalten die Oberhand. Debütiert hat der Film in Cannes 2014 in der Nebenschiene „Un Certain Regard“, von den Medien wurde er teils verspottet. Zu Unrecht. Zwar fügt sich „Lost River“ nicht zu einem originären Ganzen, sondern bleibt Stückwerk, eine Collage mit üppigen Naturbildern, brennenden Einfamilienhäusern (offenbar ein Faible des Regisseurs) und surrealen Handlungsschnipseln.

Schön irgendwie, auf verstörende Art. So schön wie die verfallenden Häuser Detroits.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2015)

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