"Hedi Schneider steckt fest": Angststörung? Lieber Krebs!

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"Hedi Schneider steckt fest": erst im Lift, dann in einer Psychose. Sonja Heiss' Tragikomödie über eine Mittdreißigerin ist ulkig und ungemütlich zugleich.

Das Wort „Angststörung“ klingt nach einem technischen Defekt, was viel über den gesellschaftlichen Blick auf psychische Erkrankungen verrät. Wer unter einer solchen leidet, ist nicht einfach nur krank – er oder sie „funktioniert“ nicht, hält den Betrieb auf, stört. Ein Defekt steht auch am Anfang von „Hedi Schneider steckt fest“: Die kauzig-nette Protagonistin versucht, im kaputten Fahrstuhl einen Plausch mit der Notrufzentrale anzuzetteln, um sich Zeit (und keimende Angst) zu vertreiben, doch so richtig will der Mann am anderen Ende der Leitung nicht auf ihre Fragen einsteigen. Die Szene fungiert nicht nur als titelgebende Metapher und Sinnbild für das Thema des Films – Kerkerhaft im beschädigten Selbst –, sie gibt auch seinen dezent absurden Tonfall vor.

Hedi Schneider (Laura Tonke) führt ein durchschnittliches, aber erfülltes Leben. Die Monotonie ihres Reisebürojobs überspielt sie mit einem schrägen Sinn für Humor, den auch ihr Partner Uli (Hans Löw) zu schätzen weiß. Hedis (Rollen-)Spielfreude kommt dem Liebesleben der beiden ebenso zugute wie ihrem kleinen Sohn Finn, zu dritt blödeln sie sich ein unkonventionelles Jungfamilienglück zurecht. Doch eines Nachts hat Hedi eine Panikattacke: Beim Sex auf dem Küchenboden ist sie plötzlich fest davon überzeugt, einen Schlaganfall zu erleiden. Der Fehlalarm erweist sich als Warnsignal, die Angstzustände mehren sich, und Hedis zunehmende Entrücktheit wird nicht nur für ihre Beziehung zum Belastungstest.

Die deutsche Regisseurin und Autorin Sonja Heiss verarbeitet in ihrem zweiten Langspielfilm persönliche Erfahrungen, „Hedi Schneider steckt fest“ ist aber mehr als ein bloßes Bekenntnis- und Selbsthilfedrama. Seine Verankerung in einem spezifischen Milieu – der deutschen Gerade-noch-Mittelschicht in ihren Mittdreißigern – öffnet den Blick für die sozialen Bedingtheiten und Folgen von Psychosen. Statt eine einzelne Ursache zu benennen, deutet er verschiedene an: der abrupte Freitod eines Arbeitskollegen, der Mangel an klaren Zielvorstellungen, die Anforderungen der Mutterschaft.

Emotionales Kippbild

Ökonomische Unsicherheiten werden nicht ausgeblendet, sondern beim Namen genannt, ebenso die Scham, die der Diagnose auf dem Fuße folgt. Seine Frau habe Krebs, sagt Uli bei einer Urlaubs-Umbuchung – klingt immer noch besser als „Angststörung“. Als Hedi es nach einer leichten Besserung erneut auf der Arbeit probieren will, hat sich die Sache herumgesprochen, die Kollegenschaft hält diskreten Abstand. Auf ihre Klage hin, das sei doch eine Privatangelegenheit, zuckt ihr Chef (akzentfrei: Simon Schwarz) mit den Schultern. „Privat, na ja. Das ist ja doch Büro.“

Das alles mag finster klingen, doch der Film hält seine Stimmung konstant auf der Schwelle des Skurrilen – bereits in ihrer Selbstfindungsreisensatire „Hotel Very Welcome“ hat Heiss ihr tragikomisches Talent unter Beweis gestellt. Jede Situation ist ein emotionales Kippbild: Wenn Hedi versucht, im Psychopharmakarausch einen Futterhasen zu kaufen oder dem Psychiater ihre Befürchtung beichtet, von einem Indianer erstickt zu werden, wirkt das ulkig und beunruhigend zugleich. Etliche Szenen beginnen mit Albernheiten und rutschen unversehens ins Ungemütliche (oder andersrum). Damit unterwandert das Drehbuch auch das längst zum bloßen Etikett verkommene Wunderlichkeitsgetue zeitgenössischer US-Indie-Dutzendware, mit dem es anfangs durchaus noch zu flirten scheint.

„Hedi Schneider steckt fest“ bringt überdies Verständnis für den Frust der Mitmenschen seiner Hauptfigur auf. Als Uli sich einem entlastenden Seitensprung hingibt, gönnt ihm die Inszenierung diesen Glücksmoment urteilsfrei. Die entscheidende Stütze der Erzählung bildet aber Laura Tonkes berückend labile Performance – obwohl der Dialog feststand, machen ihre teils bizarren Anwandlungen einen durchwegs improvisierten Eindruck. So verzeiht man dem Spannungsbogen des Dramas (vom Absturz hin zur zögerlichen Rekonvaleszenz) auch gern eine gewisse Schablonenhaftigkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2015)

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