Wie Videospiele die Leinwand eroberten

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Super Mario rannte und hüpfte schon über die Leinwand, Ego-Shooter ballerten im Kino, nächste Woche läuft "Pixels" an, und sogar "Tetris" soll verfilmt werden. Videospiel und Kino werden einander immer ähnlicher.

Das sieht ja aus wie ein Videospiel! Ein Satz, den man immer öfter lesen und hören muss, wenn sich Filmschauer von der Vielfalt der digitalen Bildbearbeitungsmöglichkeiten im Gegenwartskino an etwas erinnert fühlen, was bis vor Kurzem noch als Kinderunterhaltung angesehen wurde. In der Aussage schwingt zweierlei mit: zum einen die Geringschätzung gegenüber einer Kunstform, die das 21. Jahrhundert prägen und vielleicht auch verändern wird wie keine zweite. Zum anderen, und das ist interessanter, bedeutet es, dass sich die ehemals so differenten Kulturformen Kino und Videospiel ästhetisch und narrativ immer ähnlicher werden.

Die Modi, in denen diese Verschränkung passiert, können grob auf zwei Stoßrichtungen heruntergebrochen werden: Entweder Regisseure versuchen, mit den Mitteln des Kinos die Wirkkraft von Videospielen nachzustellen. Oder aber das Gaming selbst wird als Kulturtechnik in die Erzählung eingearbeitet – wie aktuell in der Fantasy-Komödie „Pixels“. Eines der bekanntesten und besten Beispiele dafür ist gleichzeitig die erste große Hollywood-Produktion, die sich mit dem Videospielen an sich auseinandergesetzt hat. In „Tron“ (1982) spielt Jeff Bridges einen Spielhallenmanager, der sich plötzlich im Inneren eines Computers wiederfindet. Als freies Radikal konkurriert er dort mit anderen Programmen in brutalen Spielen gegeneinander: Sie sollen, analog zu den Gladiatorenkämpfen im alten Rom, vor allem bestehende Machtstrukturen bestätigen und revolutionäre oder emanzipatorische Gefühlslagen kleinhalten.


Innenwelt der Maschinen. Die anthropomorphe Darstellung von Dienstprogrammen hatte 1982 auch einen volksbildenden Charakter: Vergleichbar mit der Science-Fiction-Idee, dass geschrumpfte Wissenschaftler durch den menschlichen Körper reisen wie in Richard Fleischers Klassiker „Fantastic Voyage“, ermöglichte „Tron“ einem breiten Publikum einen ersten, wenn auch fantastisch ausgeschmückten Einblick in die Innenwelt der Maschinen. Die fortschreitende Computerisierung des Alltags führte Anfang der Achtzigerjahre zu etlichen Erzählungen, die davor warnten, der schönen neuen Rechnerwelt blind zu vertrauen. In James Camerons „The Terminator“ (1984) erklärt ein Computerprogramm der Menschheit den Krieg, in John Badhams immer noch unheimlichem Meisterstück „WarGames“ (1983) verwechselt ein junger Hacker einen Supercomputer des US-Verteidigungsministeriums mit einem Videospiel und löst beinahe den Dritten Weltkrieg aus.

Die Gaming-Industrie selbst manövrierte sich durch diverse künstlerische, technische und ökonomische Fehlentscheidungen Anfang der Achtzigerjahre in Richtung Untergang. Der Crash der Videospielbranche anno 1983 ermöglichte schließlich die marktbeherrschende Stellung einer Heimkonsole, die die Welt so gut wie im Alleingang „gamifiziert“ hat. Das NES des japanischen Unternehmens Nintendo verkaufte sich millionenfach und sorgte für etwas, das der Videospielkultur davor nicht gänzlich, aber dennoch merklich gefehlt hat: ein gemeinschaftsbildendes Element. Das Renn- und Hüpfspiel „Super Mario Bros.“ wurde zu einem kollektiven Erlebnis, über das man im Pausenhof, im Freibad, eigentlich überall mit allen Heranwachsenden sprechen konnte. Der Teenagerfilm „The Wizard“ erzählte 1989 davon, wie zwei Kinder von Zuhause ausreißen, um bei einem Videospielwettbewerb teilzunehmen. Im Finale treten sie schließlich in „Super Mario Bros. 3“ gegeneinander an, einem heiß erwarteten Spiel, das zum Zeitpunkt des Kinostarts in den USA noch gar nicht erschienen war – der Film ermöglichte den Fans somit einen ersten Blick darauf.


Schlagen und schießen. „The Wizard“ ist eines der frechsten und eigentümlichsten Beispiele für die Verschränkung zwischen der Film- und Videospielindustrie. In den Neunzigerjahren wurden die Austauschhandlungen häufiger: „Super Mario Bros.“ war 1993 die erste größere Filmadaption eines Videospiels. Viele weitere folgten – im Besonderen das Game-Genre der „Beat 'em ups“, in denen zwei oder mehrere Figuren gegeneinander kämpfen müssen, erachteten findige Produzenten als tauglich für die große Leinwand. „Double Dragon“ (1994), „Street Fighter“ (1994) und „Mortal Kombat“ (1995) waren allerdings zu sehr damit beschäftigt, ihre Zielgruppe von männlichen Jugendlichen zu bedienen, als dass daraus tatsächlich interessante Filme hätten werden können. „Mortal Kombat“-Regisseur Paul W. S. Anderson zeigte immerhin etliche Jahre später, wie gut eine Videospielverfilmung funktionieren kann: In „Resident Evil“ (2002), basierend auf der erfolgreichen Reihe von Survival-Horror-Spielen, zimmerte er um Bubentraum Milla Jovovich eine einfache, aber effektive Horrorerzählung.

Im neuen Jahrtausend war dann immer deutlicher zu erkennen, wie porös die Grenzen zwischen Film und Videospiel werden. Als wahrer Augenöffner erwies sich „Doom“ (2005), der die Ich-Perspektiven-Kamera aus dem legendären gleichnamigen First-Person-Shooter zwar nicht durchgängig übernahm, aber dennoch einsetzte und damit ein Schlüsselelement aus dem Gaming ins Erzählkino überführte. Die immer wieder visionären Wachowskis (das Geschwisterduo zeichnete etwa für die „Matrix“-Reihe verantwortlich), selbst leidenschaftliche Gamer, ließen sich für ihre meisterliche Anime-Adaption „Speed Racer“ beim LSD-bunten Rennstreckendesign von Spielen wie „Mario Kart“ inspirieren. Und das Regieduo Neveldine/Taylor entwickelte im Thriller „Gamer“ die Horrorvorstellung eines Online-Spiels, bei dem man die Kontrolle über Menschen selbst übernehmen kann.

Das Ende ist jedenfalls noch lange nicht erreicht. Jene Generation von Regisseuren, die mit Videospielen aufgewachsen ist, erinnert sich jetzt in ihren Filmen an deren Figuren und Ästhetik: Disney, bereits jahrzehntelang im Gaming-Geschäft aktiv, produzierte 2012 mit dem Computeranimationsfilm „Wreck-It Ralph“ (deutsch: „Ralph reicht's”) einen retro-romantischen Liebesbrief an die Videospielkultur. Ein Endgegner, angelehnt an den Mario-hassenden Affen Donkey Kong, bricht darin aus seinem Spielautomaten aus und versucht sich selbst zu finden. Aktuell gibt es kaum mehr populäre Videospielreihen, bei denen nicht bereits an einer Filmversion gearbeitet wird. „Tomb Raider“ und „Mortal Kombat“ sollen neu aufgelegt, und sogar die Babuschka aller Puzzlegames, „Tetris“, soll zu einem epischen Science-Fiction-Streifen ausgebaut werden.

Allein 2016 werden etliche Großproduktionen, die auf Spielen basieren, in die Kinos kommen. Regisseur Duncan Jones etwa versucht mit „Warcraft“, einen der größten Spielerfolge der jüngeren Vergangenheit, „World of Warcraft“, in ein abendfüllendes Korsett zu zwängen. Vielleicht sagen danach wieder einige, dieser Film habe wie ein Videospiel ausgesehen. Und dann kann man sie anlächeln und sagen: Stimmt genau.

Glossar

Gamification
bezeichnet die Anwendung spieltypischer Elemente auf einen anderen Kontext: Levels beim Lernen, Highscores beim Arbeiten, Belohnungspunkte beim Einkaufen etc.

Nintendo
Japanischer Hersteller von Videospielen und -Konsolen (Game Boy, Wii). Brachte mit Super Mario die bekannteste Videospielfigur der Welt auf den Markt.

Jump'n'Run
Spielgenre, bei dem die Figur sich hüpfend und springend durch das Spiel bewegt (z.B. Super Mario)

Beat 'em up
Spielgenre, bei dem zwei oder mehr Figuren gegeneinander kämpfen müssen – mit oder ohne Handwaffen

First Person Shooter (Im Deutschen oft: Ego-Shooter) sind Spiele, bei denen der Spieler aus der Ich-Perspektive durch eine dreidimensionale Welt navigiert und auf Gegner schießt.

Survival Horror
Genre, bei dem der Spieler Zombieangriffe oder Ähnliches überleben muss. Der Name geht vermutlich auf ein Zitat aus dem Spiel „Resident Evil“ zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2015)

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