Filmfestspiele Cannes: Respekt für die dritte Dimension

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Das süße 3-D-Animationsabenteuer "Up" von Pixar beschert dem Festival eine glückliche Eröffnung. Unterhaltung mit Niveau: Genau das suchen die großen Filmfestivals für ihre Eröffnungen.

Thierry Frémaux, der künstlerische Leiter des Filmfestivals von Cannes, steht vor der Leinwand auf der Bühne der Salle Debussy. In der Hand hat er ein Paar 3-D-Brillen. „Und so“, sagt er, während er die Gläser zu seinen Augen führt, „setzen Sie dann Ihre Brillen auf!“ Der Moment ist ein bisschen lächerlich, ganz so, wie es in Cannes öfters passiert, wenn der Bombast der bedeutendsten Filmschau der Welt in Selbstparodie umschlägt.

Denn auch ohne Festivaldirektor kann wohl jeder seine Brillen aufsetzten. Doch nie würden die Granden von Cannes zugeben, dass diese Demonstration Teil eines Marketingevents ist: Sonst stellt sich Frémaux erst zur Abendgala vor die Gäste; dass er sich an diesem Mittwoch dazu herablässt, auch zur vormittäglichen Pressevorführung zu erscheinen, dient natürlich der Unterstützung des 3-D-Verfahrens. Witzigkeit soll die Präsentation charmant machen: Könnten bitte alle Journalisten ihre 3-D-Brillen aufsetzen, damit Monsieur Frémaux ein Erinnerungsfoto schießen kann? Natürlich leisten alle der Aufforderung Folge.

Dafür werden sie auch belohnt: Mit der Wahl des Eröffnungsfilms hat Cannes heuer ein glückliches Händchen bewiesen. Up ist das erste 3-D-Opus der Animationskünstler vom renommierten Pixar-Studio: Von Toy Story bis WALL-E wurden die bahnbrechenden Leistungen von Pixar gepriesen, die geglückte Verbindung von klassischem Entertainment mit eigener künstlerischer Handschrift. Unterhaltung mit Niveau: Genau das suchen die großen Filmfestivals für ihre Eröffnungen, aber selten finden sie es. Heuer haben die französischen Medien schon vorab gejubelt: ein Auftakt mit den Auteurs des Animationskinos – très jolie!

Absurder Ausflug mit Heliumballons

Dass mit Up erstmals ein 3-D-Film in die respektable Position eines Cannes-Eröffnungsfilms gehievt wurde, ist wiederum für die Macher ein Gewinn, Frémaux' Auftritt mit den 3-D-Brillen besiegelt ein für beide Seiten vorteilhaftes Arrangement: Denn Hollywood will das digitale Kino durchsetzen, den neuen dreidimensionalen Methoden kommt dabei eine Schlüsselposition zu. Doch hat das 3-D-Verfahren von jeher den Ruf einer Marketingattraktion: bloße technische Spielerei.

Diesen Vorwurf kann Up nicht ganz entkräften: Regisseur Pete Docter (Monsters, Inc.) hat die 3-D-Effekte überzeugend in die Geschichte eingefügt, aber neue ästhetische Dimensionen erschließen sich dabei nicht. Dennoch: Selten war ein Festivalbeginn so vergnüglich. Dem Film – der unter dem Titel Oben im Herbst nach Österreich kommt – gelingt eine charmante Verbindung von amüsanter Charakterkomödie mit rührenden Elementen. Es geht um einen wortkargen Pensionisten, der nach dem Tod seiner Frau doch noch zu jenem Abenteuer aufbricht, das dem Ehepaar ein Leben lang versagt blieb. (Die gemeinsamen Jahre werden in einer Montage auf wenige Minuten verdichtet, ein schönes Beispiel für den poetischen Witz von Pixar: Das Beziehungsglück übersetzt sich in eine bunte Abfolge verschiedener Krawatten, die von der Gattin liebevoll umgelegt und gebunden werden.)

Hinreißend ist die selbstverständliche Absurdität des Unternehmens. Die Reise nach Südamerika tritt der Rentner in seinem Haus an, mit Heliumballons hat er es zum Luftschiff gemacht, das er per Seilzug mit seiner Kaffeemühle steuern kann. Nachdem es an Höhe verliert, wird es trotzdem den ganzen Film mitgeschleppt, als sei das nur natürlich: Es ist schließlich symbolischer Ballast der lebenslangen Beziehung. Mit an Bord ist auch ein kleiner Pfadfinder: Die Annäherung des ungleichen Duos ist der routinierte Kontrapunkt zu märchenhaften Erlebnissen mit seltenen Vögeln und sprechenden Hunden. Ein Schuss Ironie schadet auch nicht: Es gibt ein gerüttelt Maß an geriatrischer Action, und als der noch ältere Widersacher dem greisen Helden zuruft: „Spuck's aus!“, kriegt er prompt dessen dritte Zähne ins Gesicht.

KRISE AN DER CROISETTE?

Menschenmassen, riesige Werbeflächen:So sieht Cannes sonst aus. Doch heuer sind die üblichen gigantischen Promotion-Dekors an den Luxushotels spärlicher geworden, und zum ersten Mal seit Menschengedenken sind zu Festivalbeginn noch Zimmer frei (nur die astronomischen Preise haben sich nicht geändert). Die Spuren der Krise sind nicht zu übersehen: weniger Journalisten, weniger Branche. Ob auch weniger Glamour, wird sich aber erst zeigen: Superstars wie Brad Pitt kommen erst zur zweiten Festivalhälfte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2009)

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