Margarethe von Trotta: "Wogegen sollen die Jungen rebellieren?"

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In der "Abhandenen Welt" zeigt Margarethe von Trotta eine faszinierende Familiengeschichte. Der "Presse" erklärte sie, wie der Film von ihrem eigenen Leben inspiriert wurde. Und was sie jungen Regisseuren rät.

Die Presse: In Ihrem neuen Film spielt Katja Riemann eine Frau, die erfährt, dass eine New Yorker Opernsängerin ihre Schwester ist. Kann denn ein Erwachsener eine familiäre Beziehung zu einem ihm bisher fremden Menschen aufbauen?

Margarethe von Trotta: Es ist ja meine eigene Geschichte: Sechs Monate nach dem Tod meiner Mutter meldete sich eine Frau bei mir und gab sich als meine Schwester zu erkennen. Das erste Treffen war für mich wie eine Wiederauferstehung, als ob ich meiner Mutter in jüngeren Jahren gegenüberstünde.

Hatten Sie da anfangs Annäherungsprobleme, gab es Spannungen wie im Film?

Nein, weil die Initiative von ihr ausging. Im Film wissen die beiden zu Beginn nicht, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen, erst nach einiger Zeit können sie nicht mehr leugnen, dass sie Geschwister sind.

Musik spielt eine große Rolle in der „Abhandenen Welt“...

Schon der Filmtitel verweist auf Gustav Mahlers „Ich bin der Welt abhandengekommen“. Ich liebe das Lied und wollte es immer in einen Film einbauen. Barbara Sukowa singt viel Schönberg – „Pierrot lunaire“ –, sie hat ein Leben als Schauspielerin und eines als Sängerin. Mit Katja ist es genauso: Sie hatte ihre eigene Band. Ich wollte den beiden die Gelegenheit geben, die zwei Seiten ihrer Persönlichkeit in ihren Figuren zu vereinen.

Auch in Ihrem neuen Film geht es um Geheimnisse, die von den Personen nur langsam erschlossen werden. Ist Offenheit immer die beste Strategie?

In meinem Film „Rosenstraße“ war es die Mutter, die nicht über die NS-Vergangenheit reden wollte. Das war keine Schuldfrage – ihr Leid war zu groß, als dass sie sich daran hätte erinnern wollen. In der „Abhandenen Welt“ will der Vater wissen, ob seine Exfrau ein zweites Kind hatte, und er will es zugleich nicht, weil er sich schuldig fühlt. Er schickt seine Tochter auf die Suche nach der Wahrheit – einer Wahrheit, vor der er selbst Angst hat, weil er ihr gegenüber hilflos ist.

In den Siebzigern waren Sie Teil der Aufbruchstimmung rund um den Neuen Deutschen Film. Haben Sie einen Ratschlag für die jüngere Regiegeneration?

Man sollte sich selbst treu bleiben und weitermachen, mit Geduld. Damals ahnte keiner von uns, dass wir uns so lang halten würden. Wir waren eine kleine Gruppe, hatten kaum Geld, und plötzlich sah man unsere Filme auf der ganzen Welt. Die Aufmerksamkeit wurde uns auch deshalb zuteil, weil wir uns kollektiv gegen die Elterngeneration stemmten. Heute fragt sich: Wogegen sollen die Jungen rebellieren? Ich glaube, dass es für sie schwieriger ist, aus Widerstand Kraft zu schöpfen.

In Ihren Filmen stehen oft starke Frauen im Mittelpunkt...

Männer fragen mich immer, warum das so ist oder warum die Männer in meinen Filmen so schwach sind, aber niemand fragt Wim Wenders oder Werner Herzog, warum bei ihnen immer Männer im Zentrum und Frauen am Rand stehen, das ist nämlich normal! Außerdem sind die Männer bei mir gar nicht schwach – sie sind nur weniger präsent.

ZUR PERSON

Margarethe von Trotta, geboren 1942 in Berlin, wurde als Schauspielerin des Neuen Deutschen Films bekannt, der sich vom Unterhaltungskino der Fünfzigerjahre abwandte. Mit ihrem damaligen Mann, Volker Schlöndorff, übernahm sie dann auch Regie, etwa in der „Verlorenen Ehre der Katharina Blum“ (1975). Sie erhielt viele Ehrungen, vor allem für „Die bleierne Zeit“ (1981). [ APA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2015)

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