Mathieu Amalric: "Affären sind Teil unserer Kultur"

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Mit seiner sinnlichen Verfilmung des George-Simenon-Krimis "Das blaue Zimmer" etabliert der Schauspieler und Regisseur Mathieu Amalric sich einmal mehr als einer der Schlüsselspieler der französischen Kinolandschaft.

Der Schauspieler und Regisseur Mathieu Amalric ist ein französischer Künstler in der Tradition von Serge Gainsbourg. Sein großes Talent, seine samtige Stimme und sein zwingendes Charisma setzte er bereits in den unterschiedlichsten Genres ein – vom „Bond“-Bösewicht in „Ein Quantum Trost“ über den komplett gelähmten Helden des mehrfach oscarnominierten Dramas „Schmetterling und Taucherglocke“ bis zum heruntergekommenen Burlesque-Intendanten in „Tournée“. Nun hat er – gemeinsam mit seiner Lebens- und Filmpartnerin, Stéphanie Cléau – George Simenons erotisch-obsessiven Krimi „Das blaue Zimmer“ verfilmt, der derzeit in den Kinos läuft. Ein eindringliches Porträt unstillbarer Leidenschaft, die einen Schritt zu weit geht. Im Interview spricht er darüber, wie es ist, mit seiner eigenen Partnerin erotische Szenen zu drehen – und warum Liebesaffären in Frankreich eine Rolle beim sozialen Aufstieg spielen.

Was hat Sie an Simenons Buch so sehr fasziniert, dass Sie beschlossen haben, daraus einen Film zu machen?

Mathieu Amalric: Die Art, wie er in dieser Geschichte etwas in Worte gefasst hat, was man eigentlich gar nicht mit Worten beschreiben kann: die sexuelle, körperliche Anziehung zwischen zwei Menschen. Wir alle kennen es, haben diese Momente erlebt, in denen man die Welt um sich herum komplett vergisst und nur noch diese beiden Menschen existieren, die gerade Liebe machen. Darüber kann man eigentlich nicht schreiben, Simenon hat es aber geschafft.

Sie haben das Drehbuch gemeinsam mit Ihrer Lebensgefährtin, Stéphanie Cléau, geschrieben, sie spielt in dem Film auch die Frau, der Sie in Leidenschaft verfallen sind. Macht die private Vertrautheit da die Arbeit leichter oder eher schwieriger?

Stéphanie und ich sind zwar nicht verheiratet, leben aber schon seit zehn Jahren zusammen und haben ein Kind. Sie war eigentlich bei jedem meiner Filmprojekte irgendwie mit dabei, war am Set oder hat mich beim Schreiben beraten; sie arbeitet viel am Theater als Regisseurin und Autorin. Bei diesem Projekt habe ich sie eigentlich auch nur um Rat gefragt, weil sie viel Erfahrung mit der Dramatisierung von Prosa hat. Sie hat dann gleich mit dem konkreten Drehbuch begonnen, das hat sich so ergeben – und irgendwann hatte ich dann die Idee, dass sie auch die weibliche Hauptrolle spielen soll.

Und wie fühlte sich das dann schließlich an?

Das war dann wirklich sehr, sehr aufregend für uns: Zwei Menschen, die schon so lang zusammenleben, spielen ein Paar, das miteinander eine leidenschaftliche, verbotene Affäre hat. Das war für uns beide eine sehr schöne Erfahrung. Und es war ein ganz großes Vergnügen für mich, sie zu filmen. Sie ist ja an sich keine Schauspielerin. Sie hat auch nicht diesen Exhibitionismus, der typisch für Schauspielerinnen ist, sie ist sich ihrer Schönheit nicht bewusst. Sie stand zum ersten Mal vor der Kamera, genau wie vor einem neuen Liebhaber. Das einzufangen, sie quasi mit der Kamera ganz neu zu entdecken, hatte etwas Magisches.

Wie genau hielten Sie sich an die Vorlage?

Sehr genau. Den Dialog haben wir über weite Teile eins zu eins übernommen. Aber da der Roman 1963 angesiedelt ist und unser Film in der Gegenwart spielt, haben wir vor allem, was die Szenen mit der Polizei anbelangt, vieles modernisiert. Die Methoden und die Waffen haben sich ja doch sehr geändert. Und der Prozess am Schluss ist übrigens ein echter Gerichtsprozess. Wir haben über den Fall einen vollständigen, originalgetreuen Akt angelegt, der vor einem echten Gericht mit echten Juristen verhandelt wird, das sind alles keine Schauspieler, auch der Richter nicht.

Warum spielen Affären eigentlich stets so eine große Rolle im französischen Film?

Weil wir ehrlich sind. Affären spielen überall in der Welt eine große Rolle, auch bei Ihnen in Österreich.

Wir gehen aber nicht so offen damit um.

Eben. Aber ich weiß auch nicht, warum bei uns in Frankreich Affären ein so wesentlicher Teil unserer Kultur sind. Es ist bei uns ein Machtinstrument. Man benutzt Frauen, um in der Gesellschaft nach oben zu kommen. Der soziale Aufstieg funktioniert über möglichst viele schöne Frauen, das ist in Frankreich wohl eher so.

Steckbrief

Mathieu Amalric
wurde 1965 in Neuilly-sur-Seine geboren, erste Erfolge als Schauspieler feierte er in den 1990ern, etwa in „Ende August, Anfang September“.

Beliebt. Amalric ist einer der bekanntesten Schauspieler Frankreichs.

2008 wird er als Bösewicht im „James Bond“-Film „Ein Quantum Trost“ auch einem breiten Publikum bekannt. Er spielte u.a. in „Venus im Pelz“ und „Grand Budapest Hotel“ mit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2015)

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