Peter Kern: Er filmte gegen die Betulichkeit an

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Peter Kern machte zwischen Leben und Kunst kaum einen Unterschied. Seine Leidenschaft galt den Abgedrängten. Am Mittwoch ist er im Alter von 66 Jahren gestorben.

Unverschämtheit ist eine unterschätzte Qualität. Ohne Rücksicht auf Verluste schlägt sie Breschen in die Gemäuer der Konvention, des guten Geschmacks, der Illusionsbastionen einer ach so heilen Welt. Peter Kern, der mit 66 Jahren nach schwerer Krankheit verstorbene Schauspieler und Regisseur, war einer der letzten großen Unverschämten. Zwischen Leben und Kunst machte er kaum einen Unterschied, da wie dort war seine Haltung klar und seine Stimme laut.

1949 wurde Kern in Wien Leopoldstadt geboren, seine proletarische Herkunft prägte Weltbild, Selbstverständnis und Schaffen. Angefangen hat er ausgerechnet bei den Wiener Sängerknaben, mit 19 wurde er für eine deutsche Fassung des Musicals „Hair“ engagiert und ging auf Tournee, danach brachte ihn ein Rollenangebot für Peter Lilienthals Fernsehspiel „Jakob von Gunten“ zum Neuen Deutschen Film. In den Siebzigern stand er für viele Größen der Bewegung vor der Kamera, darunter Rainer Werner Fassbinder, Hans-Jürgen Syberberg, Wim Wenders und Werner Schroeter. Auch am Theater konnte der Wiener reüssieren, im Zuge seiner Laufbahn war er auf fast allen großen Bühnen des deutschen Sprachraums zu sehen und arbeitete auch mit Christoph Schlingensief zusammen.

Arte Povera und Opulenz

1983 produzierte Kern auf den Philippinen Kurt Raabs Exploitation-Drama „Die Insel der blutigen Plantage“, wenig später stürzte er sich selbst ins Regiefach und setzte bis zu seinem Tod an die 30 Kinoprojekte als Autorenfilmer um. Seine Liebe und Leidenschaft galt dabei immer den Außenseitern, Abgedrängten, ob in dokumentarisch angehauchten Spiel- oder in stilisierten Dokumentarfilmen – etwa „Kuscheln, Knutschen, Jubilieren“ über die Schwulenszene in Düsseldorf. Mit seiner eigenen Homosexualität hielt er nie hinterm Berg.

Kerns filmisches Œuvre ist unverkennbar: Überwiegend sind das unabhängige Low- bis No-Budget-Stücke, inszenatorisch eine eigenwillige Kreuzung aus Arte Povera und Opulenz, überambitioniert aus Prinzip. Kern besetzte oft Laiendarsteller neben Theaterprofis und namhaften Darstellern wie Helmut Berger oder Josef Hader. Ganz im Geiste Fassbinders interessierte ihn die Reibung zwischen den Figuren und den Menschen dahinter. Sein zweites großes Vorbild war Luchino Visconti – „Der letzte Sommer der Reichen“, Kerns finale, auf der diesjährigen Berlinale mit Erfolg präsentierte Arbeit, war deutlich vom poetischen Pathos des Italieners beseelt.

Wenn die Atmosphäre auf Filmfestivals im Anästhetikum kultivierter Betulichkeit zu ersticken drohte, hatte Kern verlässlich das Gegenmittel parat. Seine Kunst konnte man mögen oder nicht, kalt ließ sie nie. Das wurde spätestens bei den Publikumsdiskussionen nach seinen Filmen offenbar: Die Reaktionen reichten von begeistert bis wutentbrannt, oft kam es zu hitzigen Auseinandersetzungen, bei denen der Regisseur mangelhaft durchdachte Fragen mit Gusto zerlegte. Anfeindungen inspirierten ihn. Ein Verächter schrieb Kern: „Hören Sie bitte damit auf, Filme zu machen.“ Seine Antwort? „King Kongs Tränen“, ein neues Werk.

Beschimpfung als Liebesbeweis

In festem Glauben an eine gesunde Provokationskultur zog er bei Interviews und Auftritten den Holzhammer der feinen Klinge vor und hantierte geschickt mit Zuckerbrot und Peitsche. Als wohlbeleibte Wuchtpersönlichkeit mit gepflegter Garderobe konnte er in gediegenem Theaterdeutsch zärtlich schmeicheln, aber ebenso wettern und poltern. Die wüstesten Beschimpfungen klangen aus seinem Mund würdevoll. Sie richteten sich gegen jede Form von Ausgrenzung und Fremdenhass, die Scheinheiligkeiten der Wohlstandsgesellschaft, immer wieder auch gegen die österreichische Kulturpolitik, von der er sich vernachlässigt fühlte – 2010 erhielt er dennoch das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien.

Eigentlich wollte er nur geliebt werden, machte es aber auch seinen Anhängern nicht immer leicht. Einmal sagte er dazu: „Wenn ich Sie anschreie, bitte seien Sie nicht gleich verletzt. Wenn ich Sie beschimpfe, nehmen Sie es als Liebesbeweis. Bedenken Sie, ich bin Österreicher, unzurechnungsfähig, hysterisch, verlogen und undemokratisch.“ Im schönen Dokuporträt „Kern“ von Veronika Franz und Severin Fiala entblößt er sich seelisch und körperlich, spricht scheinbar offen über Ängste und Sehnsüchte, um irgendwann beiläufig einzuwerfen: „Über den wirklichen Peter Kern werdet ihr nichts erfahren, den ganzen Film über.“ Die Wahrheit dieses unersetzlichen Ausnahmekünstlers lag wohl genau in diesem Widerspruch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2015)

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