Leichtigkeit heißt hier: Keiner bringt sich um

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In "Der Schatten von Frauen" erzählt der Pariser Autorenfilmer Philippe Garrel in trügerisch schlichten Szenen von einem Egozentriker zwischen zwei Frauen - und nimmt sich dabei wohl auch selbst aufs Korn.

Dass eine Arbeit Philippe Garrels mit einem regulären Österreich-Start bedacht wird, kommt nicht alle Tage vor. Der Pariser ist ein Autorenfilmer par excellence: radikal persönlich, frei von kommerziellen Erwägungen, beständig in seinen Motiven. Seine ersten Filme entstanden Ende der Sechzigerjahre unter Einfluss der Nouvelle Vague, als Garrel noch ein Teenager war. Kurz darauf schloss er sich dem avantgardistischen Zanzibar-Kollektiv an, drehte symbolisch aufgeladene Bilderbögen in Marokko und Island. In diese drogenschwangere Zeit fällt auch eine lange und intensive Beziehung zur deutschen Kultsängerin Nico, auf die sein späteres Schaffen immer wieder rekurrieren sollte.

Im Jahr 1982 begann mit der Veröffentlichung von „L'enfant secret“ Philippe Garrels narrative Phase: Autobiografisch unterfütterte Beziehungsporträts, zumeist in schimmerndes Schwarz-Weiß auf 16 mm gebannt. Diese zärtlich-traurigen Bekenntnisse kreisen stets um Liebe und Tod in randständigen Künstlermilieus, das Drama ist verhuscht und stechend zugleich – es rumort unaufdringlich in Gesten und Gesichtern, um dann in beiläufigen Momenten mit brutaler Klarheit zu Tage zu treten. Der Kritiker Adrian Martin bezeichnete diesen Effekt als „Spektakel der Intimität“.

Mit Godard im Pariser 68er–Mai

Bis heute liegt der Schatten einer gescheiterten Utopie auf Garrels Œuevre: Wie viele junge Franzosen wurde er 1968 von der Protestbewegung mitgerissen, kurvte an der Seite seines Idols Godard mit einer Kamera durch die Straßen und schuf mit „Actua I“ ein kurzes, eindringliches Agitprop-Dokument, das kürzlich wiederentdeckt und in Cannes präsentiert wurde. Der Freiheitsausflug des Pariser Mai endete in einer Sackgasse, was Garrel tiefer traf als viele. 2005 setzte er seiner Generation und ihren Untergehern mit dem Erinnerungsepos „Les amants réguliers“ ein düsteres Denkmal, das in krassem Kontrast zu Bernardo Bertoluccis schwelgerischer Jugendhymne „The Dreamers“ steht (obwohl sich beide Filme mit Garrels Sohn Louis einen Hauptdarsteller teilen). „Der Schatten von Frauen“ ist nun ein vergleichsweise leichtes Werk, wobei Leichtigkeit bei Garrel eigentlich auch nur heißt, dass sich am Ende keiner umbringt.

Pierre (Stanislas Merhar) fristet darin sein Dasein als erfolgloser Dokumentarist, seine Frau Manon (Clotilde Courau) ist ihm dennoch in Liebe ergeben. In einem Filmarchiv begegnet er der jungen Elisabeth (Lena Paugam) und beginnt eine Affäre mit ihr. Trügerisch schlichte Szenen an Garrel-typischen Schauplätzen (karge Apartments, Hotelzimmer und Cafés) schildern lebhaft die unterschwelligen Spannungen zwischen männlichem und weiblichem Begehren, zwischen Beziehungsgerüsten und erotischen Gelüsten, zwischen notwendigen Lügen und bitteren Wahrheiten. Die Aufnahmen strahlen, das Schauspiel ebenfalls: Merhar gibt den egozentrischen Pierre mit dem Mienenspiel eines schmollenden Jugendlichen, Courau und Paugam vermitteln ihre innere Zerrissenheit und Eifersucht auf die jeweils andere oft nur mit subtilen Blicken und Bewegungen, obwohl viel gesprochen wird – der Dialog wurde im Übrigen vom legendären Drehbuchautor Jean-Claude Carrière („Der diskrete Charme der Bourgeoisie“) mitgestaltet.

Absage an Einsamkeit als Lebenshaltung

Ein bisschen scheint sich Philippe Garrel mit diesem Film selbst auf die Schippe zu nehmen. Bisher standen bei ihm vornehmlich leidende Männer im Mittelpunkt, Frauen waren ein faszinierendes, aber letztlich unergründliches Mysterium. „Der Schatten von Frauen“ wechselt wiederholt in die Perspektive seiner weiblichen Hauptfiguren, Pierre hingegen erscheint emotional unreif, manchmal sogar gefühlskalt, und wird periodisch von einer auktorialen Erzählstimme abgestraft. Diese wurde von Garrels Schauspielersohn Louis eingesprochen, was der Erzählung eine zusätzliche Interpretationsebene beifügt, wenn man bedenkt, dass die Protagonisten des Regisseurs als Alter Egos verstanden werden können.

Am Ende steht eine flüchtige Umarmung als notgedrungene Absage an die Einsamkeit als Lebenshaltung. Innerhalb des Garrel'schen Universums ist es das Äquivalent zu einem Achselzucken – aber ein filmisches Achselzucken Garrels hat immer noch mehr Gewicht als die wilden Gestikulationen anderer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2015)

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