Was die Operette mit Peter Pan verbindet

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pan(c) Courtesy of Warner Bros. Picture (Courtesy of Warner Bros. Picture)
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Kleine Material-Sammlung zum aktuellen „Pan“-Film oder: Wer Peter Pan und sein Erfinder wirklich waren.

Sieht man heute auf der Bühne Stücke aus dem 19. Jahrhundert oder Operetten, so erscheinen sie oft im nüchtern-zeitgemäßen Design. Doch diese Zeit großer gesellschaftlicher Umbrüche liebte den Pomp und die Camouflage. Ob Ibsens „Stützen der Gesellschaft“ oder „Die Fledermaus“ von Johann Strauß, nur allmählich kommt zum Vorschein, was hinter der Eleganz und dem bunten Treiben der Upper Class wirklich steckt, Lebenslügen, unheilbare Tragik, aber auch das Komische, wenn sich flugs der Liebhaber nachts einschleicht, während der Gatte hinter schwedischen Gardinen sitzt oder sich die Zofe als feine Dame beim russischen „Prinzen“ ausgibt. So geht es zu in der „Fledermaus“ - und dass nichts allzu offensichtlich wird, dafür sorgt die Zensur.

Zwei ewige Jungen mit intensivem Blick und abgründigen Leidenschaften, das waren J. M. Barrie, Erfinder von Peter Pan und Lewis Carroll, Schöpfer der „Alice im Wunderland“-Geschichte. Und die Vita der beiden weist Ähnlichkeiten auf. Der Schotte Barrie (1860-1937) freundete sich mit einer Familie an, die vier Knaben hatte. Nach ihnen formte Barrie die Peter-Pan-Figur. Die Eltern der Knaben starben früh. Barrie unterstützte die Waisen. Ein frühes Foto zeigt „Uncle Jim“ wie Barrie genannt wurde, im Park, er sieht aus wie ein Faun, lüstern hascht er nach den Buben. Speziell Michael, der Drittgeborene, hatte es Barrie angetan. Der Bursche ertrank mit 21 Jahren, eng umschlungen mit seinem Freund Rupert Baxton, in der Themse, es wird vermutet, dass die beiden Selbstmord begingen.

Fotograf, Mathematiker, Diakon und Schriftsteller war Lewis Carroll (1832-1898). Besonders gern fotografierte er kleine Mädchen. Sein bekanntestes Motiv war Alice Liddell, Tochter des Dekans des Christ-Church-College in Oxford. Sie war das Vorbild für die nicht nur von Kindern, sondern auch von den Surrealisten geliebte Alice im Wunderland. Lewis Carroll freundete sich mit der töchterreichen Familie Liddell stark an. Bei Barrie wie bei Lewis Carroll gilt heute als ziemlich klar, dass erotische oder sexuelle Interessen an Kindern, Pädophilie im Spiel war.

Bei Lewis Carroll ist die Vernebelung dieser Tatsache in der Öffentlichekit stärker gewesen als bei Barrie. Die enge Beziehung zwischen Alice Liddell und Lewis Carroll fand 1863 ein abruptes Ende, die Erben vernichteten seine Tagebuchseiten und Alice' Mutter alle Briefe des Autors an Alice. Es ist interessant, aber auch erschütternd, dass Pädophilie, Kindesmissbrauch im 19. Jahrhundert weniger geahndet wurde als die verbotene Homosexualität.

Alice stürzt in einen Kaninchenbau und erlebt ein unterirdisches Wunderland, sie wird größer und kleiner, lernt merkwürdige Verrückte kennen, die hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt zu sein scheinen (Erwachsene?) und wird mit einer schrecklichen Königin konfrontiert, deren wichtigstes Wort: „Kopf ab!“ ist. Das Cricket-Spiel wird sozusagen blutiger Ernst. Voller Doppelbödigkeiten ist auch die „Peter-Pan“-Geschichte. Frau Darling verbirgt ihren Kuss, sie verweigert sich offenbar, nach der Geburt ihrer drei Kinder ihrem Mann. Herr Darling ist im Büro erfolgreich, daheim aber spielt er das vierte Kind und konkurriert mit seinem Nachwuchs. Beim Medizin-Einnehmen führt sich dieser Mann noch kindischer auf als sein Sohn.

Die Darlings fühlen sich beobachtet von missgünstigen Nachbarn. Das Kindermädchen, ein Hund, ist schlauer als sie. Der Hund wird angekettet, wenn das schlimme Ereignis eintritt und Peter Pan die drei Kinder ins Nimmerland entführt, vielleicht ein Symbol für den Tod. Pans Gefährten sind ihren Kindermädchen beim Spazierengehen aus den Kinderwagen gefallen, auch zu Tode gestürzt? Peter Pan, der Junge, der nicht erwachsen werden will, macht das Mädchen Wendy zu seiner Mutter wie ihr Vater seine melancholische Gattin. Pan hält seine Kindheit um jeden Preis fest, fröhlich, unschuldig und herzlos soll er sein und bleiben, befiehlt sein Erfinder Barrie.

Pan hat ein schlechtes Gedächtnis, er ist liebesunfähig, sehr von sich überzeugt, immer auf dem Egotrip, wenn ihn jemand davon abbringen will, wird er ziemlich schnell grantig und wenn er einen Coup gelandet hat, kräht er. Ein sonderbarer Kerl, eigentlich teilweise undurchschaubar und unsympathisch. Nicht umsonst wird das Peter-Pan-Syndrom als seelische Störung betrachtet: Oft versteht man darunter einen Menschen, der sich jeder Verantwortung entzieht.

Die Geschichten von Alice und Pan sind gewiss fantasievoll und genial, aber sie handeln auch von Vergewaltigung der Unschuld, seelisch auf jeden Fall, vielleicht auch körperlich. Und sie erzählen von einer Zeit, in der die Verlogenheit die Moral bei weitem übertraf. Die dunklen Seiten der Pan-Geschichte werden bis in nahe Zeiten gerne camoufliert: „Finding Neverland“ („Wenn Träume fliegen lernen“) von Marc Forster erzählt 2004 die Geschichte von Pan-Erfinder Barrie und seiner engen Freundschaft mit der Familie Llewlyn Davies in einer Starbesetzung (mit Johnny Depp, Kate Winslet, Julie Christie, Dustin Hoffman) - in einer geglätteten Version.

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