Baseball unterm Hakenkreuz

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Und wenn die Nazis gewonnen hätten? Amazon wagt sich an Philip K. Dicks brillanten Roman"The Man in the High Castle". Miese Schauspieler und ein sentimentales Drehbuch trüben ein hochaktuelles Stück Fernsehen.

Die Szene ist so typisch amerikanisch wie Kürbiskuchen, Coca-Cola und chromblitzende Cadillacs: Zwei junge Männer werfen sich auf dem mit der Nagelschere gepflegten Rasen eines Einfamilienhauses den Baseball zu, die Mutter des Hauses kredenzt einen Truthahn, der Himmel strahlt in schönstem Blau, die Menschen begehen den staatlichen Feiertag zu Ehren der Weltkriegsveteranen. Wir schreiben das Jahr 1962, doch im Weißen Haus in Washington amtiert nicht John F. Kennedy, denn Washington gibt es nicht mehr, seit es die Wehrmacht mit einer Atombombe vernichtet hat. New York ist nun Teil des Deutschen Reichs, so wie die gesamte amerikanische Ostküste bis an die Rocky Mountains, und darum ersetzt auf der US-Flagge, die auf dem Fahnenmast über dem Rasen flattert, ein Hakenkreuz die fünfzig Sterne, und einer der beiden jugendlichen Baseballspieler trägt stolz seine Uniform der Hitlerjugend, während der andere im Auftrag der SS Widerstandskämpfer ausspioniert.

Verpasste Chance der Selbsterkenntnis

Dieses Geschehen spielt sich in der sechsten Folge der ersten Staffel der neuen Fernsehserie „The Man in the High Castle“ ab, mit der das Internet-Versandhaus Amazon seinen Vormarsch in das Geschäftsfeld der Film- und Serienproduktion fortsetzt. Grundlage dafür ist der gleichnamige Roman von Philip K. Dick aus dem Jahr 1962, produziert hat Ridley Scott, dessen Science-Fiction-Knüller „Blade Runner“ mit Harrison Ford als Cybord-Kopfjäger auf Dicks Novelle „Do Androids Dream of Electric Sheep?“ fußt.

Der 1982 verstorbene Dick hat darüber hinaus die literarischen Vorlagen für Filme wie „Total Recall“, „Minority Report“ und „A Scanner Darkly“ verfasst. In den Händen eines besseren Regisseurs als es Frank Spotnitz ist, hätte man aus der Dystopie einer alternativen Welt, in der US-Präsident Franklin D. Roosevelt knapp nach seinem Wahlsieg im Jahr 1932 einem Attentat zum Opfer fällt, die USA folglich nicht von einem willensstarken Staatsmann angeführt die Große Depression überwinden, sondern letztlich den Zwei-Fronten-Krieg gegen das Nazi-Reich und Japan verlieren, einen klugen Kommentar über das komplizierte Verhältnis von totalitärer Macht und Widerstand formulieren können, ein Stück Fernsehen über die Schwierigkeit, klare ethische Antworten in trüben Verhältnissen zu formulieren. „Wir haben keine ideale Welt, wie wir sie gern hätten, wo Moral einfach ist, weil Erkenntnis einfach ist. Wo man mühelos das Richtige tun kann, weil man das Offensichtliche erkennt“, philosophiert der deutsche Heeresabwehrspion Rudolf Wegener, eine der Schlüsselfiguren im Roman, während seiner möglicherweise letzten Fahrt zum Oberkommando der Wehrmacht in Berlin.

Solchen Einsichten kann und sollte man sich ab und zu auch in den realen Vereinigten Staaten stellen, die noch immer die reichste Demokratie der Welt sind. Doch die Mehrheit der Amerikaner steht ihrer Heimat und dem offenen politischen System, das sie hervorgebracht hat und das sie im Gegenzug stützt, heute mit tiefer Ablehnung gegenüber, wie zwei erst dieser Tage veröffentliche Meinungsumfragen des Pew Research Centers offengelegt haben. 53 Prozent der Amerikaner gaben da an, dass sich die amerikanische Lebenskultur und ihre Werte seit den Fünfzigerjahren zum Schlechten entwickelt hätten. Und nur 19 Prozent der US-Bürger sagen, dass sie der Regierung immer oder zumindest meistens vertrauen; 1964, zwei Jahre nach dem Erscheinen von Dicks Roman, hatten noch 77 Prozent dieses Vertrauen.

Nazi-Boy trifft Widerstands-Girl

Doch Regisseur Spotnitz, der vor zwei Jahrzehnten für seine Arbeit an der Science-Fiction-Weltverschwörungsserie „The X-Files“ („Die Akte X“) mit drei Golden Globes ausgezeichnet wurde, erspart seinem Publikum diese vielschichtigen und letztlich verstörenden Überlegungen. In seinen Händen verkümmert Dicks vom altchinesischen Mystizismus des „I Ging“, des „Buchs der Wandlungen“, durchzogene Erzählung zu einem recht herkömmlichen Spionagethriller: Aus der emotional unsteten Heroine Julia Frink wird eine blauäugige Widerstandskämpferin, der zur klareren Kennzeichnung als tapfere Heldin eine im Roman nicht existente Schwester angedichtet wird, die gleich in der ersten Folge den Märtyrertod stirbt. Julia trifft bald auf den feschen Lastwagenfahrer Joe Blake, der sich dem Publikum, nicht aber ihr, rasch als Doppelagent im Auftrag der SS zu erkennen gibt. Von ihrem ersten Treffen an ist klar, dass es zwischen den beiden zu knistern hat, denn „Boy meets Girl“ ist eine der am besten geölten Achsen, um die sich amerikanische Fernsehunterhaltung dreht. Und natürlich darf ein böser SS-Obergruppenführer nicht fehlen, seine Spaltung in einen beruflichen Sadisten und privaten Familienvater im Strickjanker soll vermutlich daran erinnern, dass auch Nazis irgendwie Menschen sind. „The Man in the High Castle“ leidet unter seiner schwachen Besetzung, aus der man den Briten Rupert Evans in der Rolle von Julia Frinks Gatten, Frank, hervorheben muss, ein Mitglied der Royal Shakespeare Company, der es schafft, jede Szene von der eigenen Folterung bis zum ärgerlich verkitschten heimlichen jüdischen Trauergebet mit ein- und demselben Gesichtsausdruck zu spielen.

Am schlimmsten und bezeichnendsten aber ist Spotnitz' Entscheidung, aus dem mysteriösen, von den Nazis verbotenen Buch „The Grasshopper Lies Heavy“ in Dicks Original eine Sammlung von Filmrollen des gleichen Namens gemacht zu haben. Bewegte Bilder statt bedruckten Papiers: Vielleicht ist das dem Fernsehpublikum eingängiger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2015)

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