Berlinale: Tolle Themen – und jetzt bitte Kino!

Josh Brolin arrives for the Hail Caesar press conference at the 66th Berlin International Film Fest
Josh Brolin arrives for the Hail Caesar press conference at the 66th Berlin International Film Fest(c) imago/Future Image (imago stock&people)
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Von Migration bis Todesstrafe: Die Berlinale huldigt dem Themen-Dropping. Spannende Filmkunst gibt es dennoch – wie die Komödie „Hail, Caesar!“ der Coen-Brüder oder ein achtstündiges Historienepos des Philippiners Lav Diaz.

Themen, Themen, Themen! Wenn es eine Sache gibt, an der es bei der Berlinale 2016 nicht mangelt, dann sind es Themen: Kein Wort fiel öfter bei der Programmpressekonferenz, auf der Homepage des Festivals sind die „Themen der Berlinale“ in einer gleichnamigen Rubrik sektionsweise aufgefächert. Migration, Familie, Jugendliche, Rollenbilder, Phantasmen, Todesstrafe – für jeden ist etwas dabei. Ein übergeordnetes Leitthema gibt es auch: „Das Recht auf Glück“. So weit, so gesellschaftsrelevant.

Drängt sich nur die Frage auf, ob es zwischen all den Themen auch noch um Kino geht. Denn die Themensucht der europäischen Laufbildkultur ist ein Pendant zum Primat des Plots in den USA: Sie reduziert Filme auf diskursgerechte Schlagworte und Botschaften und beraubt sie ihrer künstlerischen Spezifität. Dabei weiß jeder, der schon einmal im Kino war und sich davon begeistern ließ, dass es ein Medium der Bilder, Töne und Gefühle ist, und kein Breitwand-Flipchart voller Talking Points. Natürlich kommt eine Institution wie die Berlinale nicht daran vorbei, welt- und soziopolitische Entwicklungen im Programm zu spiegeln, und das ist auch gut so. Aber wenn das Thema zum entscheidenden Auswahlkriterium eines Festivals wird, bleibt die Form oft hinter dem Inhalt zurück, zum Leidwesen der Zuschauer. Sonst könnte man Filmfestivals gleich zu Themenfestivals umtaufen und Synopsen aus den Taschenkatalogen auf die Leinwände projizieren.

Geduldsprobe für Meryl Streep

Zugegeben: Wer suchet, der findet auch im diesjährigen Programm der Filmfestspiele etliche Titel, die über ihr thematisches Prädikat hinaus Spannendes versprechen. Wirklich große Namen lässt der Wettbewerb vermissen, dafür wartet er mit dem einen oder anderen Kritikerliebling auf; neben neuen Arbeiten von Mia Hansen-Løve, Jeff Nichols und Denis Côté erfreut besonders die Konkurrenzteilnahme des philippinischen Ausnahmeregisseurs Lav Diaz: Dessen achtstündiges Historienepos „A Lullaby to the Sorrowful Mystery“ dürfte für einige im Publikum (und in der von Meryl Streep angeführten Jury) zur Geduldsprobe werden, sorgt aber für cinephiles Renommee, und das hat die Berlinale unter Dieter Kosslick bitter nötig. Der längste Film des Festivals ist Diaz‘ Werk übrigens nicht – diese Ehre gebührt Ulrike Ottingers zwölfstündigem Reisebericht „Chamissos Schatten“.

Österreich ist heuer wieder nur in den Nebenschienen vertreten, dafür gleich fünf Mal: Im Forum starten Nikolaus Geyrhalters Ruinenbilderbogen „Homo sapiens“ und Ruth Beckermanns „Die Geträumten“, ein Essayfilm über die Briefkorrespondenz zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Das Panorama – dieses Jahr mit Queer-Cinema-Schwerpunkt – beherbergt das schwule Beziehungsdrama „Kater“ von Händl Klaus sowie „Brüder der Nacht“, Patric Chihas Debüt-Doku über bulgarische Roma-Gigolos in Wien. Das heimische Avantgardekino ist mit Siegfried A. Fruhaufs „Vintage Print“ in den Berlinale Shorts vertreten.

Den Löwenanteil des überschaubaren Staraufgebots liefert indes der außer Konkurrenz laufende Eröffnungsfilm „Hail, Caesar!“ von Joel und Ethan Coen, der nur so strotzt vor glanzvollen (Gast-)Auftritten: Josh Brolin, George Clooney, Ralph Fiennes, Jonah Hill, Scarlett Johansson, Frances McDormand, Tilda Swinton, Alden Ehrenreich und Channing Tatum zieren das Plakat – die meisten von ihnen sind aber nur in Kleinstrollen zu sehen (am schlimmsten hat es Dolph Lundgren erwischt, der nicht einmal eine Dialogzeile abbekommt).

Die Komödie spielt im Hollywood der frühen 1950er-Jahre und folgt Eddie Mannix (Brolin), der neben seinem Produktionsleiterjob bei Capitol Pictures (schon im Coen-Klassiker „Barton Fink“ fiktives Symbolstudio) als „Fixer“ die Skandale seiner Stars unter den Teppich kehrt. Während der Dreharbeiten zu Capitols prestigeträchtigem Sandalenfilm „Hail, Caesar!“ wird der einfältige Schauspielgott Baird Whitlock (Clooney im Blödelmodus) von einer Zelle kommunistischer Drehbuchautoren (Deckname: „Die Zukunft“) entführt – dabei hat Mannix schon genug um die Ohren. Der Film gestaltet sich als Streifzug durch das Studiosystem am Ende seiner goldenen Ära, der Coen-typisch zwischen Hochglanzhommage und ans Absurde grenzender Persiflage oszilliert, wobei die Opfer dieser Traumfabrikkarikatur (Salonkommunisten, scheinheilige Sternchen, Tratschkolumnistinnen) etwas gar zu billig ausfallen.

Zwischendurch blitzt aber aufrichtige Begeisterung für die Zeit und ihre eskapistischen Spektakel durch, vor allem in einer famosen Musical-Einlage mit Channing Tatum als steppendem Matrosen. Alles in allem gehört „Hail, Caesar!“ nicht zu den stärksten Werken des kultigen Regieduos – aber man kann ihm zumindest nicht vorwerfen, ein Themenfilm zu sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2016)

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