Nyqvist als christlicher Folterer: „Ich fühlte mich krank dabei“

 Mikael Nyqvist beim Gespräch vor der Wien-Premiere von „Colonia Dignidad“ im Hotel Kempinski.
Mikael Nyqvist beim Gespräch vor der Wien-Premiere von „Colonia Dignidad“ im Hotel Kempinski.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Mikael Nyqvist spielt in „Colonia Dignidad“ den deutschen Sektenführer Paul Schäfer – und schildert im Interview, wie der Dreh beinahe entgleiste.

Die Presse: Woher kannten Sie die Colonia Dignidad?

Mikael Nyqvist: Ich habe vor Jahren einen Film in Chile gedreht, über Pinochet und den Coup. Eines Nachts hatten wir ein Abendessen mit den Schauspielern, als ein Journalist ins Restaurant kam, total schockiert. Wir hatten da schon seit zwei oder drei Monaten an dem Film gearbeitet, waren wirklich im Thema drin. Der Journalist war gerade in der Kolonie gewesen, weil Paul Schäfer festgenommen worden war, und begann, davon zu erzählen. Wir dachten, er würde das erfinden. Das klang wie die Hölle auf Erden. Zehn Jahre später hat mich dann Florian (Regisseur Florian Gallenberger, Anm.) angerufen, und jetzt habe ich Schäfer gespielt. Ein Monster.

Was dachten Sie, als er anrief?

Es waren viele Gedanken, die mir durch den Kopf gingen. Warum sollte ich es tun? Und wie? Der Film ist auf eine Art auch eine Dokumentation. Daher hatte ich eine Verantwortung, nahe an dem zu bleiben, was er war. Es war eine große Herausforderung für mich, auf diese dunkle Seite des Lebens zu treten. Ich glaube, ich habe als Schauspieler auch eine Verantwortung, der Welt einen Spiegel vorzuhalten und vom Leben zu erzählen. Dass auch solche Menschen existieren.

Wie war es, Schäfer zu sein?

Wirklich schwer. Ich fühlte mich jeden Tag krank. Ich fühlte mich wie ein gefährliches Tier. Aber er war wohl ein charismatischer Prediger. Er war neugierig. Aber das konnte in einer Minute ins Destruktive umschlagen. Ein Schmetterling? Oh, den bring ich um. Das Unheimlichste war, dass all diese Menschen ihr Leben in seine Hände gelegt haben. Ich habe mich daher mit Charles Manson beschäftigt, all diesen Sektenführern, sogar Pol Pot, um herauszufinden, was sie ausmacht. Sie haben alle eines gemeinsam: Sie sagen auf ihre Art die Wahrheit. Und legen keinen Wert darauf, höflich zu sein.

Hielt sich Schäfer selbst für eine Verkörperung Gottes?

Ich denke, ja. Viele Menschen halten sich irgendwann einmal für allmächtig, die meisten als Teenager. Wenn man das als erwachsener Mensch immer noch tut, ist das nicht gut. Und dann hat er ja auch noch Kinder missbraucht. Ich habe gesagt, dass ich keine solche Szene spielen kann, weil dann ein Kind so etwas erlebt. Und ich kann es auch nicht tun, ich bin ein Vater.

Schäfer hat auch Kinder von ihren Eltern getrennt, sie wussten gar nicht, wer ihre Eltern waren. Hat Sie das besonders betroffen gemacht? Sie sind ja selbst adoptiert und haben ein Buch über die Suche nach ihren leiblichen Eltern geschrieben.

Nein, ich glaube, das kann man nicht vergleichen.

Hatte Schäfer einen Masterplan oder hat er aus dem Bauch heraus gehandelt?

Ich glaube nicht, dass er einen Plan hatte. Jeder Tag war ein neuer Tag. Ich glaube, wenn man Menschen so viel Leid zufügt, kann man nicht analysieren, was man gestern gemacht hat. Er hat nur nach vorn geschaut, was eine gefährliche Sache ist. Ein Schritt vor, zwei zurück: Das ist für mich der richtige Weg. Man darf auch nicht vergessen: Diese Menschen kamen aus dem zerstörten Deutschland. Er war in der Luftwaffe, sie hatten alle dieses Dritte-Reich-Denken mitgenommen, Autorität, Regeln, Gesetze. Das hat er wohl genutzt. Es war wie ein Lager, man wurde dauernd bestraft. Wir haben diese Szene, in der eine Person beichten muss, und dann beginnen alle, sie zu schlagen. So etwas dreht man immer wieder, weil es aus verschiedenen Winkeln gefilmt wird. Das ist nach einer Weile nicht mehr lustig. Man beginnt, durchzudrehen. Ich spielte mit vielen Statisten, und man spürt, wie schnell das geht, dass die Situation entgleist. Ich sagte Florian, dass wir aufhören müssen, zwei Leute waren dabei, verrückt zu werden.

Was haben Sie gemacht, um abends wieder aus der Rolle zu finden?

Alkohol, Drogen, Sex . . . Nein. Tatsächlich habe ich gar nicht wirklich herausgefunden. Es war eine depressive Zeit. Ich habe mir viele Dokumentationen über Prediger und den Weltkrieg angesehen. In einer Pause bin ich nach Bhutan gefahren, zum Trekking mit einem buddhistischen Mönch, von Kloster zu Kloster. Das war schön. Dann haben wir weitergedreht, und ich habe einige Opfer Schäfers getroffen. Im Kostüm habe ich ja wie Paul Schäfer ausgesehen. Das war nicht angenehm.

Hat es Ihnen geholfen, sich wie er die Haare wachsen zu lassen?

Das war eine Perücke. Ich hatte auch ein falsches Auge. Als Kind wollte Schäfer sich einmal die Schuhe anziehen und hat es nicht geschafft, sie zuzubinden. Da hat er eine Gabel genommen und sie sich ins Auge gerammt. Es sagt viel aus, wenn ein Kind so etwas macht.

Was hat denn eigentlich Ihren Weg nach Hollywood bereitet? Die „Millennium-Trilogie“?

Es hat langsam angefangen, mit „Zusammen“, „Wie im Himmel“, dann die „Millennium-Trilogie“. Das haben viele gesehen, alle hatten diese Bücher gelesen.

Sie auch?

Nein. Aber ich kannte Stieg Larsson. Bestseller finde ich immer verdächtig. Ich habe auch den „Da Vinci Code“ nicht gelesen. Und dann habe ich die drei „Millennium“-Bücher doch an einem Tag oder so gelesen.

Was lesen Sie denn stattdessen?

Klassiker. Derzeit lese ich viel Rilke. Whitman. Ich lese viele Gedichte.

Auch schwedische?

Ja, Tomas Tranströmer, der war eine Weile mein Nachbar. Als er den Nobelpreis bekam, habe ich gerade mein zweites Buch geschrieben und geriet in eine Schreibblockade. Ich konnte nicht schreiben – und er hatte den Nobelpreis und ständig sind Journalisten durch den Flur gelaufen.

Worüber haben Sie damals geschrieben?

Es ist ein Roman über etwas, das ich hasse: dass andere Menschen uns sagen, wer wir sind, uns quasi erschaffen. Ich hasse das, aber man muss damit leben. Wenn jemand sagt: „Du bist fett“, kannst du Ja oder Nein sagen, beim Rest hast du keine Wahl. Das beeinflusst uns, aber es ist eine Falle. Es geht auch viel um Film und Theater, weil sie Orte sind, wo man das wirklich zu spüren bekommt. Der ist gut, jener ist schlecht . . .

Glauben Sie denn, dass die Leute ein halbwegs zutreffendes Bild von Ihnen haben?

Keine Ahnung. Ich glaube ja, dass ich ziemlich bescheiden und extrem gut bin. Das Schlimme ist, dass ich das selbst sagen muss (lacht) . . . Nein, ich habe wirklich keine Ahnung.

ZUR PERSON

Mikael Nyqvist (geb. 1960 in Stockholm) spielt in „Colonia Dignidad“ mit Emma Watson und Daniel Brühl den pädophilen Sektenführer Paul Schäfer, dessen Kolonie in Chile während der Pinochet-Diktatur als Folterlager diente. Nyqvist spielte u. a. in der ersten Verfilmung der Stieg-Larsson-Krimis den Journalisten Mikael Blomkvist und den Bösewicht in „Mission: Impossible 4“. „Colonia Dignidad“ läuft seit 19. Februar im Kino. Die Produktion wurde von Sky unterstützt, ab Sommer ist der Film auf Sky zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2016)

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