Weiße Oscars? Weißes Hollywood!

Michael B. Jordan arrives at the 47th NAACP Image Awards in Pasadena
Michael B. Jordan arrives at the 47th NAACP Image Awards in PasadenaREUTERS
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Der Vorwurf, schwarze Schauspieler würden bei den Oscars übergangen, ist nicht neu. Doch das Problem liegt hinter den Kulissen Hollywoods. Eine Analyse.

Fast hätte er die Einladung gar nicht angenommen. Als Eddie Murphy im Jahr 1988, kurz nach seinem Erfolg mit „Beverly Hills Cop II“, von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences gebeten wurde, bei der Oscar-Verleihung die Gewinner für den Besten Film zu verkünden, sagte er zu seinem Manager: „Ich gehe nicht hin, weil sie schwarze Menschen in der Filmindustrie nicht anerkennen.“ Nur eine Handvoll schwarzer Schauspieler hatte bis dato einen Oscar gewonnen. Der Manager überzeugte Murphy, die Einladung doch anzunehmen – und dieser nutzte das Forum, um die mangelnde Repräsentation von Schwarzen bei den Oscars anzuprangern.

Auch Sylvester Stallone wollte heuer, 28 Jahre später, eigentlich nicht an der Gala teilnehmen. Zum zweiten Mal in Folge ist kein einziger farbiger Schauspieler nominiert – was Twitter-Nutzer veranlasste, den Hashtag #OscarsSoWhite aus dem Vorjahr wieder aufzuwärmen. Stallone, selbst für seine Nebenrolle in „Creed“ nominiert (der schwarze Hauptdarsteller Michael B. Jordan wurde übergangen), musste von seinem schwarzen Regisseur Ryan Coogler überredet werden, die Verleihung zu besuchen. Andere, u. a. Regisseur Spike Lee, Michael Moore und Jada Pinkett Smith, Ehefrau von Hollywoodstar Will Smith, werden die Verleihung boykottieren.

Woran liegt es, dass schwarze Schauspieler bei den Oscars so unterrepräsentiert sind? Sicher nicht daran, dass sie schlechter wären als ihre weißen Kollegen. Die Vorsitzende der Akademie, Cheryl Boone Isaacs, eine Afroamerikanerin, zeigte sich über die rein weißen Nominierungen „untröstlich und frustriert“. In der Organisation gehört sie selbst zu einer Minderheit: Von den 6000 Mitgliedern sind 94 Prozent weiß, 77 Prozent männlich, das Durchschnittsalter lag 2012 bei 62 Jahren. Mittlerweile hat die Academy Reformen angekündigt: Bis 2020 soll sich die Zahl der Frauen und Minderheiten verdoppeln, auch das lebenslange Stimmrecht wird abgeschafft, was helfen soll, die Zusammensetzung der Academy-Mitglieder an die tatsächlichen Verhältnisse in Hollywood anzupassen.


Trugschluss. Doch da liegt das eigentliche Problem: Die geringe Anerkennung von Schwarzen auf die Zusammensetzung der Academy zurückzuführen, ist ein Trugschluss. Die Oscars sind nicht das Problem, sondern ein Symptom der mangelnden Diversität in der US-Filmbranche. Forscher der USC Annenberg haben die 100 erfolgreichsten Filme des Jahres 2014 untersucht: Von insgesamt 4024 Sprechrollen waren gut 73 Prozent weiß (zum Vergleich: Weiße machen 62 Prozent der US-Bevölkerung aus) und 12,5 Prozent schwarz (13,2 Prozent der US-Bevölkerung). Weit unterrepräsentiert waren Schwarze bei den Hauptrollen: In nur acht der 100 erfolgreichsten Filme wurde die Hauptrolle von einem Afroamerikaner gespielt.

Die Academy kann nur bewerten, was ihr vorgesetzt wird. Und auch wenn es heuer wohl einige schwarze Kandidaten gegeben hat, die eine Nominierung verdient hätten: Statistisch übergeht die Academy schwarze Schauspieler nicht so sehr, wie die Filmindustrie sie ausschließt: In den letzten 15 Jahren brachten es schwarze Hauptdarsteller auf 9,3 Prozent der Nominierten und 13,3 Prozent der Oscar-Gewinner.


Armut und Gewalt. Höchst unausgewogen ist die Art, wie Schwarze in Hollywoodfilmen porträtiert werden. 30 Mal in der Geschichte der Oscars wurden schwarze Hauptdarsteller bisher nominiert, 20 Mal waren es Männer (der erste war 1958 Sidney Poitier für seine Darstellung in „Flucht in Ketten“), zehn Mal Frauen (angefangen mit Dorothy Dandridge in „Carmen Jones“, 1954). Die „New York Times“ hat die entsprechenden Filme analysiert: Die weiblichen Hauptrollen hatten allesamt mit Armut zu kämpfen, neun von ihnen mit (drohender) Obdachlosigkeit, sechs mit körperlicher Misshandlung. Keine einzige hatte einen Uni-Abschluss, geschweige denn einen Job in einer Führungsposition. Von den 20 schwarzen Männerrollen werden 13 im Laufe des Films verhaftet, 15 werden gewalttätig oder kriminell (da sind allerdings auch „professionelle Gewalttäter“ wie Will Smith als Muhammad Ali mitgezählt). Einige der 30 Rollen sind Stars (etwa Jamie Foxx als Ray Charles oder Angela Bassett als Tina Turner), viele von ihnen sind historische Personen. Alltägliche schwarze Figuren sind in den Geschichten der Traumfabrik rar gesät.

Um die Gründe dafür zu finden, muss man hinter die Kulissen blicken. „Wenn die Geschmäcker von nur einer Gruppe von Personen entscheiden, welche Filme gemacht werden, dann werden nur bestimmte Arten von Filmen gemacht“, sagte Meryl Streep bei der heurigen Berlinale, angesprochen auf das Diversitätsproblem in Hollywood. Tatsächlich wurden weniger als sechs Prozent der 700 erfolgreichsten Filme der vergangenen Jahre von schwarzen Regisseuren gedreht – und nur drei davon waren Frauen. Auch bei den Drehbuchautoren sind ethnische Minderheiten weit unterrepräsentiert. Und Hollywoods Studiobosse sind laut einer Studie der UCLA gar zu 94 Prozent weiß (und zu 100 Prozent männlich). „Die Filmindustrie ist wie die Rocky Mountains. Je höher du kommst, desto weißer wird es“, sagte der US-Bürgerrechtler Al Sharpton. Und Spike Lee meinte: „Es ist einfacher, als Schwarzer Präsident der USA als Präsident eines Studios zu werden.“

Die Ursache für die fehlenden schwarzen Schauspieler und Filmemacher auf den Oscar-Nominierungslisten ist also tief in der US-Filmindustrie verwurzelt. Eindeutig unterrepräsentiert ist dort übrigens auch eine andere Minderheit: 2014 gingen nur 4,9 Prozent der Sprechrollen an Hispanics, die immerhin 17,4 Prozent der amerikanischen Bevölkerung ausmachen – und dort 23 Prozent der Kinotickets kaufen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2016)

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