Film und Literatur: Französinnen, die von Freiheit träumen

Aufbruch in bessere Zeiten? Lehrerin Carole (Cécile de France, r.) und Bäuerin Delphine (Izïa Higelin) im psychologisch berührenden Film „La belle saison“.
Aufbruch in bessere Zeiten? Lehrerin Carole (Cécile de France, r.) und Bäuerin Delphine (Izïa Higelin) im psychologisch berührenden Film „La belle saison“.(c) Thimfilm
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Feministische Zeitreisen ins Frankreich der 1960er- und 1970er-Jahre: Der Film „La belle saison – eine Sommerliebe“, ein neu übersetzter Beauvoir-Roman und die erschütternden Memoiren der Journalistin Françoise Giroud.

Andere Frauen werden es einmal besser haben: Das ist ein Topos in Autobiografien feministischer Pionierinnen. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft konnte oder sollte frühe Kämpferinnen ein wenig über das eigene private Scheitern trösten.

Auch der französische Film „La belle saison“, auf Deutsch „Sommerliebe“ benannt, endet implizit mit einem positiven Ausblick: Carole (Cécile de France) sitzt in einer Arztpraxis und berät Frauen, über Abtreibung, vor allem aber über das Wundermedikament, mit dem sie diese vermeiden können: die Pille. Den zwei Hauptfiguren Carole und Delphine freilich bringt der Film nicht das ersehnte Glück. Zu früh sind sie mit ihrer Liebe dran, im Frankreich Anfang der Siebzigerjahre.

Regisseurin Catherine Corsini lässt die Zuschauer mithilfe großartiger Hauptdarstellerinnen in die inneren Kämpfe und Nöte zweier sehr unterschiedlicher junger Frauen eintauchen. Im Mittelpunkt steht die 23-jährige Delphine (Izïa Higelin), die auf dem abgeschiedenen Bauernhof ihrer Eltern aufgewachsen ist und ein karges, hartes Leben gewohnt ist. Einsam, weil sie sich nur zu Frauen hingezogen fühlt und diese Neigung verheimlichen muss, geht sie nach Paris. Durch Zufall wird sie auf der Straße in eine Aktion feministischer Studentinnen verwickelt, lässt sich begeistern und beginnt sich zu engagieren.

Stadtaktivismus und dörfliche Realität

Izïa Higelin als Delphine verströmt eine träge Kraft, die nachvollziehen lässt, dass sich die sanguinische Aktivistin Carole (Cécile de France), die bisher nur in Männer verliebt war, von ihr sexuell „umpolen“ lässt. Schwierig wird diese Liebesbeziehung erst, als Delphine wegen einer schweren Erkrankung ihres Vaters aufs Land zurück und nun den Hof führen muss – und Carole ihr dorthin folgt.

Hier holt das Realitätsprinzip die beiden ein: in Gestalt einer Dorfgemeinschaft, in der offen gelebte lesbische Liebe das soziale Aus und damit auch das Aus für den Hof bedeuten würde, und in Gestalt der sympathischen, schweigsamen Mutter, die sich weder ihrer Rechtlosigkeit noch ihrer Stärke bewusst ist. „Was habt ihr gegen die Männer?“, erwidert sie nur ratlos auf die feministischen Bewusstseinsbildungsversuche vonseiten Caroles.

Da prallen Welten aufeinander. Die auf dem Land zusehends hilflos werdende Carole wirft der Freundin vor, mit ihrem Rückzug aufs Land den gemeinsamen Kampf um die weibliche Freiheit zu verraten. Delphine wiederum, die auf dem Hof mit ihrer Mutter die gesamte „Männerarbeit“ verrichtet, bezichtigt Carole der Abgehobenheit und schleudert ihr entgegen: „Das hier ist etwas Konkretes!“

Nicht, wie er das Scheitern einer Liebe an den gesellschaftlichen Verhältnissen zeigt, macht „La belle saison“ trotz Längen sehenswert, sondern, wie er eine sich eindeutigen ideologischen Zuordnungen entziehende Realität spürbar macht, die vor allem von Delphines Mutter (Noémie Lvovsky) personifiziert wird. Das macht „La belle saison“ auch zu einer aktuellen gesellschaftspolitischen Lektion: Caroles kompromissloser Kampf für die Rechte der Frauen, gleich, welcher Herkunft, erscheint genauso fehl am Platz wie der Relativismus weiblicher Lebensformen. Was dann? Der Film verkündet keine Lösung, aber er deutet sie durch die Zeichnung seiner Figuren an: geduldige Beharrlichkeit in der Sache, Sensibilität und Respekt im Einzelfall.

Zumindest andere Frauen werden es einmal besser haben: Auch Simone de Beauvoirs kürzlich auf Deutsch neu aufgelegter Roman „Die Welt der schönen Bilder“ („Les belles images“) schließt mit dieser Perspektive. Er gehört zu Beauvoirs späteren Werken, entstand 1966, fast zwei Jahrzehnte nach ihrem theoretischen Hauptwerk „Das andere Geschlecht“. Ein wenig erscheint die gutbürgerliche Hauptfigur Laurence, eine junge Mutter und Werbetexterin, wie auf dem feministisch-existenzialistischen Reißbrett entworfen. Sie hat „alles“ und versinkt dennoch in einem Gefühl der Leere und Entfremdung.

Beauvoir: „Die Welt der schönen Bilder“

Aus diesem kann sie sich zwar nicht mehr selbst herausreißen, aber zumindest ihre zwölfjährige Tochter, Catherine: Als diese sich mit einem Mädchen anfreundet, das keine Mutter mehr hat, Zeitung lesen darf und Catherine von den schrecklichen Dingen erzählt, die auf der Welt passieren, will der Vater Catherine den Umgang mit der Freundin verbieten, doch die Mutter setzt sich durch: „Ein Kind erziehen heißt nicht, ein schönes Bild aus ihm machen“, sagt sie und verlangt die erzieherische Hauptverantwortung für ihre Tochter. Zumindest Catherine soll jene Chancen haben, die sie selbst nicht hatte. Ein bescheidenes Ziel? Nur aus heutiger Sicht.

Wie hoch der Preis eines „unbescheidenen“ Frauenlebens sein konnte, zeigt die soeben auf Deutsch erschienene erschütternde Autobiografie „Ich bin eine freie Frau“ von Françoise Giroud, einer der bekanntesten französischen Journalistinnen. Sie gründete und führte die kämpferische linke Zeitschrift „L'Express“, gemeinsam mit ihrem Geliebten, dem Linksintellektuellen Jean-Jacques Servan-Schreiber. Als dieser sich von ihr trennte, schrieb sie nach einem Selbstmordversuch ihre Erinnerungen auf und porträtierte zugleich eine Zeit, in der Frauen wie sie wählen mussten: zwischen Freiheit und Glück.

Buchtipps

Françoise Giroud, 1916–2003, war eine der bekanntesten Journalistinnen Frankreichs und schrieb viele Bücher. Ihre bewegenden Memoiren, „Ich bin eine freie Frau“, sind bei Zsolnay erschienen.

Simone de Beauvoir, 1908–1986, schrieb etliche Romane, ihr bekanntester ist „Les Mandarins“. „Die Welt der schönen Bilder“ („Les belles images“) ist im Verlag Ebersbach & Simon erschienen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2016)

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