"Der Nachtmahr": Tolle Idee, geile Bilder, null Herz

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"Der Nachtmahr", die inkorporierte "teenage angst", ist zwar ein ungeheurer Wurf im deutschen Kino - wirkt dann am Ende aber doch wie ein Designerprodukt.

Eine Texttafel zu Filmbeginn warnt vor baldigst einsetzendem Stroboskopgewitter, eben, dass es für Menschen mit Epilepsie durchaus gefährlich werden könnte. Außerdem solle, nein müsse dieser Film sehr laut gespielt werden. Es kündigt sich demnach ein Erlebnis an, das den Verstand umschifft und gleich direkt reinwill in den Körper, in den Magen. Und dann: Jugendliche auf Exzessfindungstrip, im Freibad scheint die Sonne zwar nicht mehr, dafür strahlen kalte Lichter, während das Fleisch zur Techno-Musik zuckt. Es wird geschnupft und gesoffen, was dieser hässliche Entgrenzungsort so hergibt, bis die wohlstandsverwahrlosten Jungmenschen ihre unsteuerbar gewordenen Leiber wieder in die leise Nacht hinausschieben.

Hier hört Tina es zum ersten Mal: ein Gurren hinter den Büschen, ein Erahnen von grauer Haut, und dann hat die junge Frau Angst. Was ihr bald darauf noch näherkommen und sie an ihrem Verstand zweifeln lassen wird, ist der „Nachtmahr“: Die bucklige, langfingrige, glupschäugige Kreatur ist eine angemessen schirche, aber doch auch entzückende Veräußerung von Tinas Innerstem, ihre „teenage angst“ inkorporiert. Man muss Regisseur Akiz (Achim Bornhak) Respekt dafür zollen, dass er endlich ein ordentliches Monster ins deutsche Kino eingeschleppt hat.

Monster lebte mit Regisseur zusammen

Als Bildhauer hat er jahrelang an diesem Wesen gearbeitet, der Nachtmahr war Teil seines Familienlebens, ist auf Fotos zu sehen, wie er neben Frau und Kindern hockt, als wäre er längst schon lebendig geworden. Das künstlerische Talent und die ans Obsessive grenzende Leidenschaft, mit der die Kreatur erschaffen wurde, belebt auch diesen Film: In seinen besten Momenten ist „Der Nachtmahr“ die bewegte Hipster-Version des berühmten Johann-Heinrich-Füssli-Bildes, auf dem ein hässlicher Alb auf dem Brustkorb einer Schlafenden hockt und ihr den Atem nimmt.

Die Interaktionen zwischen Tina (spannendes, neues Gesicht: Carolyn Genzkow) und dem Wesen sind leider überzeugender als der Rest des Films. Akiz, der einen breiten Referenzkatalog des gehobenen Genrekinos bemüht und auf eine David-Lynch-artige Atmosphäre abzielt, gelingen mit Kameramann Clemens Baumeister schöne, nachtschwangere Bilder: Aber immer wenn die Schauspieler ihre ungelenken Dialoge im Vorabendserientonfall rausklopfen, fällt „Der Nachtmahr“in sich zusammen. Wäre nicht weiter tragisch, würde Akiz sich und seinen Film nicht so verbissen ernst nehmen: Denn die Geschichte ist zwar ungeheuerlich innerhalb des deutschen Kinos, wurde weltweit aber schon dutzendfach und besser erzählt.

In Frank Henenlotters grindigem, witzigem „Basket Case“ etwa wird ein junger Mann von der Mordlust seines monströsen Zwillingsbruders, eines in einem Korb hausenden, bezahnten Fleischklumpens namens Belial, in arge Bedrängnis gebracht: Ein unsterblicher Klassiker des Grindhouse-Kinos, ohne Sicherheitsnetz auf der berüchtigten New Yorker 42nd Street vor ihrer Disneylandisierung gedreht und schon auch deshalb so gut, weil er ohne zwänglerisches Ästhetisieren und dieses unwürdige Schielen auf Coolness, Hipness und Lässigkeit auskommt. „Der Nachtmahr“, der gleich wie „Basket Case“außerhalb klassischer Filmproduktionslogik entstanden ist, ist die Inversion davon: Ein Film der schönen Ideen, der geilen Bilder, der tollen Effekte, der großartigen Monster, der aber kein Gefühl produziert, nicht für das Monster, nicht für die Menschen und auch nicht für seine Zeit. So wirkt all das, was mit so viel Leidenschaft und auch einfach nur Leiden von talentierten Menschen zum Leben erweckt wurde, wie ein Designerprodukt. Sehr, sehr schade.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2016)

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