Ein Film als positive Trauerarbeit für Hund, Mutter, Mann

Laurie Andersons ätherischer Essayfilm "Heart of a Dog".

Was hat Wittgenstein mit dem NSA-Hauptquartier zu tun? Was verbindet Goyas Gemälde „El perro“ mit dem „Tibetischen Totenbuch“? Schwer zu sagen – aber im Bewusstseinsstrom von Laurie Andersons ätherischem Essayfilm „Heart of a Dog“ sind solche Assoziationen keine Seltenheit, im Gegenteil: Sie bilden sein Strukturprinzip. Die US-Künstlerin – seit den Achtzigern bekannt für Performances, Multimedia-Installationen, Avantgarde-Pop – verlor zwischen 2011 und 2013 ihren Hund, ihre Mutter und schließlich ihren geliebten Mann Lou Reed. Ihr neuer Film, der vergangenes Jahr in Venedig Premiere hatte, sublimiert diese Erfahrungen in Form einer zwischen Trauer und Heiterkeit, Weisheit und Banalität oszillierenden Gedächtnis- und Gedankentour, die ihre verblichene Foxterrier-Dame Lolabelle zum narrativen Ankerpunkt macht.

Anderson setzt ihrer Fantasie keine Grenzen, weder inhaltlich noch stilistisch: „Heart of a Dog“ beginnt mit einem animierten Traumbericht, wechselt von Kindheitserinnerungen zu Alltagsbeobachtungen und philosophischen Überlegungen, auf Kommentare zum Überwachungsstaat folgen Anekdoten über Lolabelle, die sich dank hundetherapeutischem Ansporn trotz Altersblindheit als Malerin, Musikerin, Bildhauerin betätigte.

Erzählstimme wie Märchentante

Die wolkig wabernde Bildebene bedient sich dabei aller möglichen Materialien, von 8mm-Home-Movies über Fotografien bis zu Handyaufnahmen, oftmals verfremdet mittels (teilweise recht billiger) Videoeffekten. Trotz seiner ästhetischen Zerklüftung gestaltet sich „Heart of a Dog“ aber als ausgesprochen angenehme, geradezu behagliche Sichtungserfahrung: einerseits wegen Andersons sanfter, einlullender Hörspiel-Erzählstimme (die zuweilen klingt, als würde eine Märchentante Lesestunde halten), andererseits aufgrund einer sphärischen Klangkulisse aus der Feder der Regisseurin – kein Wunder, dass das Soundtrack-Album die Tonspur des Films fast unverändert übernimmt.

Anderson ist dem Buddhismus zugetan – eine zentrale Sequenz imaginiert die Visionen ihres Hundes im Bardo, dem Zwischenzustand zwischen einem Leben und dem nächsten, als experimentelle Erinnerungsbilderflut. Hin und wieder zitiert sie ihren Meditationslehrer: „Ihr solltet lernen, euch traurig zu fühlen, ohne traurig zu sein.“ Oder: „Der Sinn des Todes ist das Freisetzen von Liebe.“ „Heart of a Dog“ ist der Versuch einer verspielten, positiven Trauerarbeit, die ein Auge bereits gen Zukunft richtet. Manchmal berührt das durchaus. Aber manchmal wirkt es, böse gesagt, wie eine Reihe Gedankenfürze mit Räucherstäbchenduft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2016)

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