Exzesskino und Kassenschlager

Arnold Schwarzenegger geht wieder auf Hirnurlaub: „Total Recall“ läuft am 15. Juni im Rahmen der Paul-Verhoeven-Retrospektive im Filmmuseum Wien.
Arnold Schwarzenegger geht wieder auf Hirnurlaub: „Total Recall“ läuft am 15. Juni im Rahmen der Paul-Verhoeven-Retrospektive im Filmmuseum Wien.Filmmuseum
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Das Filmmuseum zeigt eine Paul-Verhoeven-Retrospektive – vom Tabubruch "Showgirls" bis zum Welterfolg "Basic Instinct". Am 8. und 9. Juni ist der Regisseur zu Gast in Wien.

Hollywood, 1995: Noch gilt der gebürtige Niederländer Paul Verhoeven als Garant für kassenträchtiges Exzesskino. Einer, der die vermeintlichen Niederungen des Spektakel- und Exploitationfilms mit gegenläufiger europäischer Sensibilität durchwirkt, auf dass das Publikum johlt und die Kritik zufrieden ist. Der 22. September dieses folgenschweren Jahres ließ Verhoevens hart erarbeiteten Ruf korrodieren: Denn nach dem Kinostart von „Showgirls“ hatte das perfekt auf den amerikanischen Markt zugeschnittene filmische Idiom des Holländers seine kommerzielle und künstlerische Potenz scheinbar verloren. Die darin aufgezeigte und ausgestellte Frauenkörperverwendung und -verwertung im hochglänzenden, glitzernden Vegas-Look war für die meisten nur mehr mit dem Hohlbegriff „Trash“ benennbar.

„Showgirls“ ist der Zenit von Verhoevens ungeheuerlich anmutender Flexibilisierung der Hollywood'schen Zeig- und Zumutbarkeitsgrenzen, ein zweistündiger Tabubruch, in dem die Sexualisierung von Frauen auf deren selbstbestimmte Körperlichkeit trifft: In einem legendären Moment verführt Showtänzerin Nomi (wuchtiger Karriereanfang für Elizabeth Berkley, der gleichzeitig das Karriereende bedeutete) einen Mann, der ihre Freundin sexuell misshandelt hat, allerdings nur, um ihn barbusig und mit unverhohlener Freude zu Brei zu schlagen. „Showgirls“ erhielt in den USA die höchste Altersfreigabe, schmierte an den Kinokassen ab, wurde von den Kritikern zerrissen und noch Jahre später lächerlich gemacht. Es war die vielleicht auch unvermeidliche Überhitzung jener hintersinnigen Logik, die Verhoevens Kino schon in seiner Heimat unüberseh- und unverwechselbar gemacht hatte.

Der Lehrersohn wächst nahe einer deutschen Rüstungsfabrik in Den Haag auf, auf die während des Zweiten Weltkriegs Bomben herabregnen. Fleisch, Blut, Feuer und Tod treffen auf Kinderaugen. Es war „ein Abenteuer“, erinnert sich Verhoeven. Die Gewaltlust seines späteren Kinos, dessen Hang zu drastischen Bildern ohne mitgedachten moralischen Zeigefinger mag in diesen frühkindlichen Erfahrungen ebenso verwurzelt sein wie im B-Film-Boom der Fünfzigerjahre. Byron Haskins „Kampf der Welten“ (1953) sieht er gute zehn Mal im Kino, darin eine Sequenz, die auch in einem Verhoeven-Film denkbar wäre: Ein Priester schreitet betend auf die Raumschiffe zu, spricht mit Gott, bevor ihn ein Laserstrahl in Stücke reißt. Im Ausnahmezustand greift kein Regelwerk mehr, alles ist unsicher, alle sind wahnsinnig. Wer sich in Verhoevens Filmen gewöhnlich gibt, hat schon verloren.


Sexuelle Machtgefälle. In seiner jüngsten Arbeit, „Elle“, die kürzlich im Cannes-Wettbewerb uraufgeführt wurde, wird Michèle (Isabelle Huppert) in ihrer Wohnung von einem Angreifer attackiert und vergewaltigt. Als sie wieder aufwacht, räumt sie den Tatort auf, beim Essen mit Freunden erzählt sie vom Verbrechen, geht aber gleich zur Bestellung über. Jede Beziehung in „Elle“ ist von einem sexuellen Machtgefälle geprägt: Michèles Sohn wird von seiner Freundin beherrscht, ihre chirurgisch verjüngte Mutter hält sich einen Lustknaben und in ihrer Videospielfirma arbeiten testosterongeladene Mitarbeiter an der Umsetzung einer Vergewaltigungsfantasie im Fantasy-Gewand.

Der Körper ist letztgültig bei Verhoeven: Das zieht sich durch seine insgesamt 15 Langfilme wie ein roter Faden. „Das Mädchen Keetje Tippel“ (1975) verkauft ihn, um ihre Familie zu unterstützen, und wird nach ihrer sozialistischen Erweckung von ihrer Vergangenheit eingeholt. In „Spetters“ (1980), einem räudigen, tiefer gelegten Jugend-Actionfilm, wird ein Homophober von mehreren Typen in Lederjacken vergewaltigt und kann sich erst danach sein eigenes gleichgeschlechtliches Begehren eingestehen. Und „Der vierte Mann“ (1983) erzählt davon, wie ein saufender Schriftsteller einer Femme fatale verfällt, die möglicherweise bis sehr wahrscheinlich ihre drei vorigen Partner verzehrt, also um die Ecke gebracht hat – ein Motiv, das Verhoeven ein knappes Jahrzehnt später zum skandalisierten Welterfolg „Basic Instinct“ (1992) umarbeitet.

Der finanzielle Erfolg legt Verhoeven Mitte der 1980er-Jahre schließlich die ersehnte Brücke nach Hollywood. Mit mehr Budget und Zugriff auf die besten Spezialeffektkünstler der Zeit fertigt er eine Reihe von Kassenschlagern, deren glatt polierte, technisch perfekte Oberflächen Pop-Art-Nebelbomben sind, in denen er dann mit aller gebotenen Drastik Systemkritik übt. „RoboCop“, in dem der zerschossene Körper eines Polizisten zum Biosubstrat des titelgebenden Maschinenbullen wird, legt den Faschismus des militärisch-industriellen Komplexes frei, während in der losen Philip-K.-Dick-Adaption „Total Recall“ Arnold Schwarzenegger mit eingepflanzten Erinnerungen auf Hirnurlaub geschickt wird, dann aber gar nicht mehr weiß, wer er eigentlich ist.

Am grellsten lodert Verhoevens Flamme aber in seinem Opus magnum, „Starship Troopers“ (1997), der radikal satirischen Neudeutung von Robert A. Heinleins reaktionärem Militarismus-Roman gleichen Titels: Bürger ist in Zukunft nur mehr, wer sich zum Militärdienst meldet und gegen außerirdische Insektenmonster kämpft. Das Rekrutierungsvideo, mit dem der Film eröffnet, stellt Leni Riefenstahls Nazi-Propagandafilm „Triumph des Willens“ nach. So subversiv war der Spektakelfilm kaum jemals – und wird es vielleicht auch nie wieder sein.

Steckbrief

Paul Verhoeven
(* 18. Juli 1938 in Amsterdam) wuchs in Den Haag auf. Nach dem Studium der Mathematik und Physik feierte er mit Filmen wie „Türkische Früchte“, „Das Mädchen Keetje Tippel“ und „Der Soldat von Oranien“ große Erfolge.

Mitte der 80er-Jahre ging er auch aufgrund von öffentlicher Kritik an seiner Darstellung von Sexualität und Gewalt in die USA. Mit Filmen wie „RoboCop“ und „Basic Instinct“ wurde er zum begehrten Hollywood-Regisseur.

Erst 2006
drehte er wieder in den Niederlanden („Black Book“). Sein jüngster Film, „Elle“ war heuer im Rennen um die Goldene Palme in Cannes, ging aber leer aus.

Vom 3. bis 19. Juni

läuft im Filmmuseum in Wien eine Retrospektive mit 14 Kinofilmen Verhoevens. Am 8. und 9. Juni ist der Regisseur im ÖFM zu Gast. Paul Blind

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2016)

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